Die Lichtermagd
schlechter als mir, was?« Das spitze Gesicht Margaret Berainers war von einem boshaften Lächeln verzerrt, als sie auf Luzinde herab sah. »Ich schätze,
Gott besitzt einen Sinn für Gerechtigkeit, meinst du nicht?« Die ehemalige Begine trug Kleider, die denen Luzindes nicht ganz unähnlich waren – nur sauberer. Sie wiesen Margaret jetzt selbst als Magd aus, und den zusammengepressten Lippen nach zu urteilen war sie über diesen Abstieg nicht glücklich.
»Margaret«, erwiderte Luzinde mit flacher Stimme. »Du hier – in Nürnberg? Wie hast du Anstellung gefunden?«
»Ich habe noch immer Bekannte hier, die mich nicht zugrunde gehen lassen«, der harte Zug um ihren Mund wurde bitter. »Auch wenn sie sich öffentlich nicht mehr zu mir bekennen. Sie haben mich ins Gesinde gesteckt! Und wem habe ich das zu verdanken?«
Luzinde schwieg.Wenn sie Margaret die Widerworte entgegenbrächte, die ihr auf der Zunge lagen, dann holte diese vielleicht noch einen Büttel.
»Dir natürlich, Metze!«, fauchte Margaret. »Der Teufel hat dich geschickt, um mein Leben zu vergiften!«
»Meinst du nicht, er hätte mir etwas Besseres dafür geboten als das hier?«, fragte Luzinde denTränen nah. »Immerhin musst du nicht betteln!«
»Immerhin muss ich nicht betteln?«, äffte die ehemalige Begine sie nach. »Ich war einmal die Herrin von Lindelberg! Und immer, wenn ich etwas erreicht habe, gerätst du mir dazwischen«, zischte Margaret. »Du frisst dich durch mein Leben wie der Schwarze Tod, du Hure! Ich werde nicht zulassen, dass du mir noch mehr kaputt machst!«
»Margaret«, flehte Luzinde voller Angst, »bitte sag niemandem etwas von früher, ja?« Wenn sie erst einmal in Nürnberg als Hure verschrien wäre – wo sollte sie dann noch hin?
»Dann lauf mir nie wieder über den Weg!«, fauchte Margaret, drehte sich um und ging.
Die ehemalige Magd atmete auf. Sie wandte sich wieder den Almosen zu, die vor der Kirche verteilt wurden, doch der gro ße Strom der Gläubigen war bereits wieder versiegt. Nur noch einige Nachzügler kamen an den Bettlern vorbei, die weiterhin die Hände aufhielten und Gottes Segen dafür versprachen. Als jemand ein paar Münzen warf, merkte Luzinde sich einen Fundort und robbte dorthin, froh, dass dies ihr zweiter Pfennig wäre. Als sie nach der Münze griff, stellte sich ein Stiefel auf ihre Finger. Sie schrie auf. Die eisenharte Hand des narbengesichtigen Kerls packte sie am Oberarm und zerrte sie beiseite. Das war der Mann, der sie heute schon zwei Mal beim Heischen erwischt hatte! Geschah dies mit Margarets Zutun?
»Du schon wieder?«, knurrte er. »Bist du blödsinnig, dass du mir drei Mal amTag über denWeg läufst?« Er fletschte die Zähne. »Habe ich nicht beim letzten Mal versprochen, dich totzuschlagen, wenn ich dich erwisch?« Luzinde sah den Knüppel nicht kommen, den der Mann mit der anderen Hand schwang. Sie hatte nur Glück, dass sie gerade versuchte, sich dem Griff des Büttels zu entwinden, und so traf er sie nicht am Kopf. Der plötzliche Schmerz in ihrer Schulter ließ sie aufschreien. Sie riss sich los und rannte, doch der Kerl warf ihr den Knüppel gegen das Bein, so dass sie strauchelte. Der Boden sauste ihr entgegen. Es gelang ihr mehr schlecht als recht, sich mit den Handballen abzufangen. Doch dort, wo der Knüppel ihren Oberschenkel getroffen hatte, fühlte sie plötzlich gar nichts mehr. Sie wusste nicht einmal, ob das Bein sie noch tragen würde. Auf dem Kirchhof von Sankt Sebaldus sah sie kurz Margarets grinsendes Gesicht, bevor diese sich umdrehte und verschwand.
»Nicht! Bitte, nicht!«, wimmerte sie und riss instinktiv die Hände hoch, als das Narbengesicht nachsetzte. Doch er hob nur seinen Knüppel wieder auf.
»Erst betteln sie dreist und strecken einem die Zunge raus«, höhnte der Mann, »und wenn man sie dann erwischt, dann lecken sie einem die Füße.« Er funkelte sie an und ließ den Knüppel in die Handfläche klatschen. »Wie die Hunde. In der letzten Zeit wird nur noch Abschaum in die Stadt gespült!«
Luzinde kroch rückwärts Richtung Sankt Sebaldus, doch sie hatte die Mauer schneller im Rücken, als sie dachte. Wenn sie es auf den nahen Kirchhof schaffen könnte … Sie bewegte probeweise ihr Bein, doch der pochende Schmerz, der inzwischen von dort aufstieg, nahm ihr sofort allen Mut – weglaufen konnte sie nicht. Jetzt blieb ihr nur noch, sich zu Tode prügeln zu lassen, wie der Büttel es angedroht hatte, oder ihn zu bezahlen. Da sie nicht
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