Die Lichtermagd
zu schtochern. Glaubst’e is Gift drin, Schicksa?«
»Nein, ich -«, doch Luzinde konnte kaum sagen, was sie gedacht hatte. »Danke«, fügte sie hinzu, ergriff den dargebotenen Löffel und schob sich schnell die erste Fuhre Hühnersuppe in den Mund. Der Hunger überwältigte sie beinahe. »Wo bin ich?«, fragte sie schließlich kauend. Das Mahl schmeckte eigenartig herb, aber ganz köstlich.
»In Herrn Gottschalks Haus«, erwiderte die fremde Magd fröhlich. »In meiner Kamer, wenn de’s wissen willst.«
»Und wer bis du?«, setzte Luzinde hinzu.
»Ich bin Rahel. Ich koch und puz für den Herrn Gottschalk und sein Gesindel. Das da is von mir«, sie deutete auf die dampfende Schüssel. »Also sag besser, wie du die Sup mogst.«
»Sie ist gut«, versicherte Luzinde. »Wirklich. Was ist das für ein Geschmack?«, fragte sie und fischte sich ein Korn aus
dem Mund, das die Ursache für die interessante Note zu sein schien.
»Remischer Kimel, Schicksa«, lachte Rahel.
»Römischer Kümmel?«, probierte Luzinde die Laute. Langsam begann sie sich in die Sprache der Leute hineinzuhören. Es half, die Worte laut zu wiederholen, fand sie.
»Sag ich doch«, gab die Frau zurück. Sie war noch rundlicher als die Pillenreuther Magd Anna und hatte leuchtend rote Wangen. Das Kopftuch verbarg ihr Haar vollständig, doch die Augenbrauen deuteten darauf hin, dass sie dunkelblond war.
»Ich heiße Luzinde«, meinte das Mädchen noch, als die Jüdin schon wieder hinausging.
»Is gut, Schicksa«, rief Rahel über die Schulter zurück. »Des Kleid do am Haken, des is fer dich!«
»Warum nennst du mich so?« Doch Rahel antwortete nicht mehr.
So erhielt Luzinde Zeit zum Nachdenken. Der Alte hatte sie also mit nach Hause genommen. Furcht und Neugier rangen in der Magd miteinander. Sie fragte sich zum wiederholten Mal, was der alte Mann wohl von ihr wollte. Sie konnte entweder bleiben, um das herauszufinden, oder sie konnte zusehen, dass sie dasWeite suchte. Die Entscheidung war schnell getroffen – Luzinde würde ihr Schicksal nicht in die Hände eines Ungläubigen geben. Dieser Gottschalk war freundlich genug gewesen – doch man wusste ja nie.
Einen langen Augenblick blieb sie noch beinahe bedauernd auf dem Lager liegen und genoss die Wärme, die die Suppe in ihr verströmte. Sie fühlte sich zurückversetzt in ihre Zeit in dem kleinen elterlichen Haus zu Lindelberg. Damals hatte das Leben noch so einfach ausgesehen, das für eineTochter aus gutem Haus festzustehen schien. Einen anständigen Mann heiraten und in
sein Haus ziehen, ein paar Kinder bekommen und damit zufrieden sein … Doch dieses Leben hatte sie verschenkt.
Dann stellte Luzinde die leere Schale beiseite und raffte sich auf. Das Bein gab beinahe wieder unter ihr nach, als sie es belastete, doch nach einigen Versuchen stellte sie fest, dass das Gehen unter Schmerzen möglich wäre. Also mühte sie sich hinüber zu dem engen schilffarbenen Überkleid, streifte es über das lange Hemd und band es an der Seite zu. Mit seinen kurzen Ärmeln und den mit perlfarbenem Seidenfaden aufgestickten Symbolen – darunter wieder der Leuchter mit sieben Armen sowie ein Baum – wirkte es fremdartig im Vergleich zu allem, was Luzinde jemals am Körper gehabt hatte. Es war ein wenig kürzer als ihr Untergewand, vermutlich das gekürzte Kleid einer vornehmeren Frau.
Sie griff nach ihrem Beutel, der in einer Ecke lag, stopfte eine der Wolldecken hinein, unter denen sie eben noch gelegen hatte, und humpelte so leise wie möglich zurTür der Kammer. Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf das bequeme Lager biss sie die Zähne zusammen und schlich durch den Lagerboden, die knarrende Treppe hinunter in das erste Geschoss. Dort stand Luzinde in einer Kemenate mit Tafel und hörte Stimmen aus einem angrenzenden Raum – eine Männerstimme sprach in einem melodischen, aber kehligen Singsang. Wie während des Geschwätzes der Magd meinte Luzinde, das ein oder andere Wort verstehen zu können, dann aber folgte wieder ein Ausdruck, der ihr völlig fremd war. Hier befand sich ebenfalls ein goldener Kerzenleuchter mit sieben Armen auf einer Truhe an der Wand. Die kleinen eckigen Fenster standen noch offen, obwohl schon ein empfindlich kühler Windzug herrschte. Von draußen drang das Rattern von Rädern auf der unebenen Straße herein; das Trappeln von Hufen und dumpfes Hämmern.
Als Luzinde weiterzuschleichen wagte, berührten ihre frisch gewaschenen Füße weiche Flusen.
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