Die Lichtermagd
ausreichend Geld für so eine Tat besaß, blieb ihr keine große Wahl der Mittel.
Furchtsam horchte sie in sich hinein.Wie weit war sie bereit zu gehen? Der Schmerz war bereits so groß, dass sie beinahe alles tun würde, um zu vermeiden, dass der Kerl ihre Knochen unter dem Knüppelholz splittern ließ! Der Büttel hatte ein Funkeln in den Augen – offenbar genoss er die Situation. Er gehörte zu der brutalen Sorte – wenn der einmal anfing, sie zu prügeln, würde er nicht aufhören, bevor ihr Kopf eine blutige Masse war.
»Ich … ich kann Euch bezahlen, Herr«, sprach sie schnell. »Ihr müsst das nicht tun! Ich – ich verdiene gar nicht schlecht, und ich gebe Euch etwas ab!«
»Du verdienst nicht schlecht?«, höhnte der Büttel und grinste, so dass eine Narbe über seiner Wange weiß aufleuchtete. »Nicht, wenn du nicht anfängst, die Beine breit zu machen! Die Bettelei beherrschst du jedenfalls nicht sonderlich gut.« Er machte einen Schritt auf sie zu. »Wie willst du mir denn, na, sagen wir mal,’nen Groschen zahlen, damit ich dir einen Bettelflicken besorge?«
»Ich -«, Luzinde standen die Tränen in den Augen. Sie musste dem Mann beweisen, dass sie ihm gute Dienste als Hure leisten könnte. Wenn er sie nur nicht totschlug! Sie griff nach ihren Röcken, und begann, sie trotz ihrer Schmerzen langsam zu raffen. Der Mann konnte den Blick nicht von ihren Beine wenden.
Gerade in diesem Augenblick sah sie eine vertraute Gestalt. Auf der Straße ging der Jude vorbei, der ihr gestern noch den Silbergroschen angeboten hatte. Luzinde dachte nicht groß nach, sondern keuchte schnell: »Der Jude zahlt!« Sie wies auf den alten Mann. »Ich stehe in seinen Diensten.«
»Du stehst – in seinen Diensten?«, wiederholte der Schläger ungläubig. »Ich habe dich doch schon zwei Mal beim Betteln erwischt, Geylerin! Du lügst doch!«
»Er hat mich angeworben! Als – als Magd!« Luzinde wusste nicht, ob Juden Mägde brauchten, doch da sie reich waren und große Familien hatten, standen die Chancen nicht schlecht. Der Alte bemerkte nun die Aufmerksamkeit und schaute irritiert zu ihnen herüber. Sein gebeugter Rücken ließ ihn demütig wirken. Luzinde fing seinen Blick und versuchte, ihn zu erweichen. Wenn er sich jetzt abwandte, wenn er ging, dann war es vorbei mit ihr. Die Unschlüssigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Offenbar mischte er sich nicht gerne in die Angelegenheiten der Büttel ein.
In ihrer Verzweiflung rief Luzinde: »Herr! Hier drüben!«
Der alte Mann erstarrte. Jetzt würde er sich entscheiden müssen.Wollte er ihr helfen oder sie als Lügnerin bloßstellen? Immerhin machte er ein paar Schritte auf sie zu.
»Was is denn los?«, fragte er vorsichtig. Sein Blick ging von Luzinde zum Büttel und wieder zurück, um die Situation zu begreifen.
Luzindes Ruf hatte auch den Büttel innehalten lassen. Mit
finsterer Miene grunzte er den Juden an: »Du bist Gottschalk, nicht wahr? Stimmt’s, dass die Geylerin hier in deinen Diensten steht?«
Der Alte schaute überrascht zu Luzinde herab. Nun musterte er sie genauer. Sie schwieg und warf ihm einen flehentlichen Blick zu.Was immer er von ihr mit dem Groschen gewollt hatte, sie würde den Preis gerne bezahlen, wenn er ihr jetzt nur half. Als sie die Beine anzog, um sich aufzusetzen, raubte ihr der Schmerz beinahe das Bewusstsein. Sie musste sich zusammenreißen.
Die grauen Augen Gottschalks verengten sich, als er Luzindes Zustand erkannte. Die Hoffnung der Magd sank. Vermutlich wollte er auch bloß seine Fleischeslust an ihr stillen. Er würde sie nicht wollen, zusammengeschlagen und verletzt wie sie war! Er würde sie dem Büttel überlassen und sich nicht mehr um sie scheren.
»Se schtet in meinem Dienst«, sagte der Alte leise. »Und ich bitt, Ihr megt se geen lassen.« Dabei senkte er leicht den Kopf und vermied es, dem Büttel in die Augen zu sehen.
Der Kerl schwieg erstaunt, und auch Luzinde hielt überrascht den Atem an. »Eine Christin in jüdischer Knechtschaft? Die Juden sollen doch den Christen dienen«, grunzte der Büttel. »Egal. In jedem Fall hat sie widerrechtlich gebettelt. Ich habe sie schon zwei Mal aus der Stadt geprügelt.« Er räusperte sich mit schlauem Blick. »Darum schuldet sie mir Geld.«
»Ah?«, fragte Gottschalk, der offenbar mit nichts anderem gerechnet hatte. »Wie fil mog des sein?«
»’nen Groschen.«
Ohne hinsehen zu müssen fischte der Greis einen Silbergroschen aus der ledernen Börse mit den Rosen, die
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