Die Lichtermagd
Beginenhof in Pillenreuth. Am nächsten Tag lernte Luzinde allmählich, wo sie sich bewegen durfte und wo nicht, welche Aufgaben man ihr zuteilte, und wovon sie die Finger zu lassen hatte. Dreimal am Tag beteten die Juden, morgens und abends bei den Mahlzeiten und einmal auswärts in der Schul. Die Nahrungsmittel wurden streng geteilt.War Milch in ihnen enthalten, kamen sie aus der einen Küche – und wenn Fleisch darin war, aus der anderen. Dasselbe galt für das Geschirr.
Auch die Familie lernte sie besser kennen. Mose wirkte Luzinde gegenüber skeptisch. Er war ein stiller Mann, der seinen Geschäften nachging und wenig sprach. Seine Frau Rebekka glich das mehr als aus. Sie hatte zu allem eine Meinung und an vielem etwas auszusetzen. Die zwölfjährige Tochter Bel und der sechs Jahre jüngere Sohn Jakob schienen spiegelverkehrte Bilder ihrer Eltern. Bel kam eher nach dem Vater, war still und konzentriert und vollführte all die Handlungen, die ihr der Glaube offenbar vorschrieb, mit gewissenhaftem Ernst. Derweilen machte sich der in solchen Dingen noch sorglose Jakob über sie lustig und beäugte die Welt um sich herum mit kindlicher Freude. Neben Rahel gab es noch zwei Knechte, Jekel und Fischlein, die bei den Geschäften halfen, Botendienste taten und was sonst an Aufgaben so anfiel. Insgesamt besaß die Familie nur ein bescheidenes Gesinde.
Luzinde fand sich überraschend schnell in der fremdartigen Umgebung zurecht. Bereits am Nachmittag des zweiten Tages
aber – sie war nun kaum eine Woche in Nürnberg – verbreitete sich unerwartete Hektik. Im ganzen Haus wurde geputzt und geräumt, doch ein Großteil der Aufmerksamkeit wurde der Hütte im Garten gewidmet. Selbst Rebekka und die Kinder fassten mit an, und auch Luzinde wurde viel gescheucht, denn Rahel stand den ganzen Tag in der Küche. Sie buk ein zopfartiges Brot, das sie Strietzel nannte, bereitete Mahlzeiten vor, als würde ein großes Fest gefeiert und duldete Luzinde nicht in der Küche, weil sie nicht koscher sei. Da diese Vokabel vorher hauptsächlich für Wein und Fleisch verwendet worden war, hütete die christliche Magd sich wohlweislich, auch nur in der Nähe der Küche gesehen zu werden.
Die Aufregung im Hause Gottschalk ergriff auch die Kinder und die Eltern, die sich benahmen als erwarte man einen königlichen Gast. Und schließlich klärte Rahel Luzinde auf, man würde mit der Familie desYsaac von Schesslitz aus dem Nachbarhaus, mit dem sie den Innenhof teilten, in die Schul gehen, um zu beten. Vor Sonnenuntergang wäre man zurück, um gemeinsam Schabbes zu feiern. »Des is en heilig Tag, und de Herschaft benscht den Tisch und bricht de Strietzel – des Brot -, und alles muss sein, wie die Schrift sagt.« Am Ende des Gespräches hatte Luzinde den Eindruck, dieser Schabbes sei so etwas wie das Ostern der Christen, also ein heiliger Tag der Juden. Aber hatte man sie nicht als – wie hatte Gottschalk es genannt? – Schabbesgoje angestellt? Sollte sie nicht irgendwelche Lichter anzünden?
Luzinde beendete gewissenhaft die ihr auferlegten Arbeiten. Als alles getan war, schlich sie neugierig durch das leere Haus, um festzustellen, was sich verändert hatte. Doch abgesehen von dem makellos geputzten Zustand sämtlicher Böden und Möbel wurde sie enttäuscht. Erst in der Hütte im Garten wurde sie fündig.
Den Tisch empfand sie als eine liebevoll gedeckte Kostbarkeit, obwohl er für beinahe zwanzig Leute gedeckt worden war. Feinstes Geschirr fand sich hier auf einem Leinentuch mit Stickereien; zwei Kerzenständer aus vergoldetem Silber standen neben kleinen sechseckigen silbernen Bechern, die sich verjüngten, so dass sie sich mühelos ineinanderstapeln ließen. Als Luzinde sie näher betrachtete, sah sie, dass auf dem Boden des einen ein Wappen mit einem zweischwänzigen Löwen eingraviert war, in einem anderen befand sich eine Lilie, und im nächsten wieder ein anderes Symbol. Mitten auf dem Tisch stand gar eine Schale aus hauchfein geschliffenem grünen Achat mit Silberfuß. Die Strietzel, die aussahen wie mehrfach ineinander verflochtene Brotzöpfe, lagen verborgen unter einem kostbar bestickten Tuch. Silberne Schüsseln enthielten Kräuter und Salz, ein Kelch roten Wein. Zweige, Blätter, Kränze und Efeu schmückten den Tisch, der so festlich aussah, dass Luzinde beinahe wünschte, an diesem Mahl mit dem jüdischen Gesinde teilnehmen zu dürfen. Doch dies war ein Ungläubigenmahl, und daher würde sie in ihrer kleinen Küche allein
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