Die Lichtermagd
essen.
Als vorne die Tür ging, schrak sie aus ihrer Betrachtung auf. Wie spät es war! Draußen näherte sich bereits der Sonnenuntergang, und die Familie Gottschalks kehrte zurück. Ein ungutes Gefühl überfiel sie. Als Schabbesgoje sollte sie doch heute irgendwelche Lichter anzünden – nur wann? Und waren es diese Kerzen hier? Sie wusste es nicht genau. Mit dem Glockengeläut neulich hatte Gottschalk vergessen, ihr die Aufgaben genauer zu beschreiben, die sie im Haus vollführen sollte. Sie war nicht unglücklich darum, denn je weniger sie von den Juden wusste, desto besser. Aber bevor man sie der Pflichtvergessenheit beschuldigte, so beschloss sie, wollte sie das lieber zu früh als zu spät tun. Also lief sie zur Laterne am Innenhof,
entzündete einen Span und steckte die beiden Kerzen auf dem Tisch an. Nun bildete die Hütte eine wundervolle Insel der Gemütlichkeit. Luzinde hoffte, ihre Herrschaft würde sich darüber freuen. Dann verschwand sie und setzte sich in ihre Küche, um ein paar Wurzeln für das eigene Abendessen zu waschen.
Nur wenige Augenblicke später drang Geschrei durch den Innenhof. Luzinde ließ erschreckt die Bürste in den Wasserbottich fallen. »Wo ist die Schiksa? Ich ziehe ihr die Ohren lang! So ein farfrumtes Luder!« Rebekka schoss in ihrem besten Gewand aus grüner venezianischer Seide durch den Hof. Bevor Luzinde recht verstand, was vorging, kam die Jüdin herein, schleifte sie in den Hof zur Hütte. Die beiden Familien zählten mit Gesinde zusammen neunzehn Mitglieder, die ihr alle wortlos entgegenstarrten. Am Tisch angekommen klatschte Rebekka der Magd eine so heftige Ohrfeige auf die Wange, dass vor ihrem inneren Auge Lichter explodierten. »Hast de des gemacht? Sicher hast’e des gemacht! So ein Beiskeit, den Schabbestisch zu farschmuzen! Ich zeig dir deinen Platz, du!« Und damit ließ sie ihre Hand wieder niedersausen.
Luzinde hatte die Benommenheit abgeschüttelt und wich instinktiv aus. Dann hielt sie Rebekkas Handgelenk fest. Bei dem Gerangel riss die Seide des kostbaren Kleides mit hässlichem Ratschen. Die Hausherrin wurde noch wütender. »Ich schmiz dich, wenn ich’s will und so oft ich will, umreines Christenwaib! Des is erst de Onfang!«, keifte sie. Endlich kam Mose angelaufen und zog seine Frau zurück. »Rebekka! Zaum dich, mir zulib.«
»Hast’e geseen, was sie gemacht hat, des Schlimmas’l!«
Luzinde war verletzt und verwirrt zugleich. »Was – was habe ich denn falsch gemacht?«
»De hast de Wachsslicht angeschteckt!«, fauchte Rebekka und bäumte sich im Griff ihres Mannes auf.
»Aber ich dachte -«, setzte Luzinde an, doch die Frau wetterte weiter und hörte sie nicht an.
»Rebekka, Lib, lass gut sein«, bat Mose. Er wandte sich zu Gottschalk. »Foter, hast der Schabbesgoje nit gesagt, was se tun sol und was nit?«
»Ich dacht, ich hett’s gesagt.« Dann runzelte er die Stirn. »Ich wollt’s zumindest.«
Mose seufzte. »Rebekka, sihst? Das Meidel weiß es nit anders.«
»Des war pure Beiskeit! Der gerb ich des Fell!«
»Rebekka, des is genug«, rügte Mose. »Kom, es wird gleich dunkel. Der Tisch ist wider bereit. Schteck die Kerzen an und bensch den Tisch, oder Bel tut’s.« Mit seiner Rede erreichte Mose immerhin, dass Rebekka mit der Kreischerei aufhörte. Während ihr Mann sie in die Hütte zog und weiter auf sie einredete, wechselte sie bei ihren Beschimpfungen vollständig ins Jiddische. Die Magd bewunderte die Geduld von Mose. Vermutlich war dies nicht der erste Wutanfall seines Weibes, den er miterlebte.
Als im Hof wieder Stille herrschte, versuchte Luzinde verzweifelt zu ergründen, was gerade vorgefallen war. Rebekka hasste sie, so viel war deutlich geworden. Wenn heute das Anzünden der Kerzen eine solche Reaktion hervorrief, was würde es morgen sein? Das Ausfegen des Hofes? Nein, das Leben in diesem Haus würde nicht einfach werden. Sie dachte an die Witwe Margaret zurück, die sie aus Pillenreuth vertrieben hatte. Gab es nicht immer jemanden, der einen hasste oder beneidete?
Vom Tisch drangen die leisen Töne eines fremdartigen Gesanges herüber. Luzinde sah zu dem Hüttchen und ein Schauer lief ihr den Rücken hinab. Die Rituale der Juden waren ihr unheimlich. Sie wusste nicht, ob sie zuschauen sollte, um zu
überprüfen, ob dabei wirklich Hostien geschändet wurden, wie man sagte, oder sich die Decke über den Kopf ziehen, um sich davor zu verkriechen. Sie entschied sich für Letzteres. Wenn die Mönche und Priester der
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