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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Stadt die Juden in Nürnberg duldeten – hieß das nicht eigentlich, dass sie ungefährlich waren? Die Magd hoffte es, denn sie wollte den Luxus ihrer neuen Bleibe nur ungern wieder gegen ein feuchtes Lager auf der Straße eintauschen. Doch ihre Einbildungskraft malte sich über die Zeremonie, die hinter den löchrigen Wänden der Hütte vorging, beklemmende Bilder aus. Mitten in der Nacht stand sie noch einmal auf und stellte die Waschschüssel vor die Tür, damit sie wenigstens aufwachte, wenn jemand ihre Kammer betrat.
     
    Der nächste Morgen kam, und es blieb seltsam still im Haus. Luzinde ging in die Küche, in der es nach ausgeglühter Kohle roch, und legte Holz in die Kochstelle nach. Darauf stand eine Mahlzeit, die abgedeckt in der Resthitze des Vortages garte. Brot und Bier standen in rauen Mengen auf dem Tisch bereit, so dass man nur zugreifen musste, wenn man hungrig war. Doch Luzinde hütete sich.Wer wusste schon, ob das vielleicht auch wieder ein Fehler wäre. Sie suchte Rahel in der Diele und im Keller, denn üblicherweise war die recht früh wach und arbeitete. Nicht so heute.
    Als Luzinde wieder heraufkam, machte es sich Rahel gerade mit Bel und Jakob in der Hütte im Garten gemütlich und sang ein Lied, das sich kaum von dem Gebetssingsang unterschied, den Luzinde gestern gehört hatte. Als die Magd sich näherte, sprang Rahel auf. »Ah, Luzinde. Da biste ja. Wir haben schon gewartet.«
    »Ich – ich war mir nicht sicher, ob …«
    »Machst’e de Karze an? So is schener.«

    Luzinde holte verdutzt einen Span und entzündete ihn an einer Laterne am Haus. Üblicherweise machte Rahel das selbst. Ließ die Magd sie für ihren Ungehorsam gestern schmoren? Luzinde trug das Flämmchen in die Hütte.Als die Kerze brannte, griff sie nach dem Geschirr auf dem Tisch, doch die kleine Bel fiel ihr in die Hand. »Kannst’e …«, fragte sie zögernd. »Kannst’e das Schlingl an der Tasch da aufschlingen? Mein schene Schpang is’ da drin, de will ich am Kleid haben …«, sie deutete auf ein Beutelchen, dass auf dem Tisch lag.
    »Natürlich«, erwiderte Luzinde. Sie hatte damit gerechnet, dass der Knoten fest saß und man Geduld und Fingernägel brauchte, um ihn zu lösen. Doch sie zog bloß vorsichtig an den Fäden, da glitten die Schnüre schon leicht auseinander. Sie reichte dem Mädchen den Beutel, das eine Gewandnadel mit einem leuchtend grünen Stein herausnahm und sich voller Freude ansteckte. Jetzt ahnte Luzinde, was hier vor sich ging. Man wollte sie schikanieren. Die Familie wollte sie für das strafen, was gestern passiert war.
    Und tatsächlich verbrachte Luzinde ihre Zeit bis zum späten Nachmittag damit, kleine und überflüssige Aufgaben auszuführen, während niemand im Haus sonst einen Handschlag tat. Die Familie wirkte dabei wie ausgewechselt. Gestern noch hatte selbst die Herrschaft beim Putzen angefasst. Heute aber steckte sie mit den Nasen in kostbaren Büchern und rührte sich kaum.
    Beide Familien verbrachten viel Zeit in der Sukka, wie sie die Hütte im Hof nannten, obwohl sie nicht miteinander verwandt zu sein schienen.Trotzdem verknüpfte sie besonders zu den Abendmahlzeiten ein merkwürdiges Band, das Luzinde kaum beschreiben konnte – es schien mehr als Nachbarschaft und doch auch weniger als innige Freundschaft. Luzinde lernte den etwas beleibten FamilienvaterYsaac als ruhigen Mann kennen,
der offenbar einen Geldverleih betrieb. Seine Frau Rosa hatte fünf Kinder geboren und ihre Figur dabei völlig verloren, doch ihr Gemüt war so sonnig, dass es unmöglich war, sie nicht zu mögen. Ihr ganzer Stolz war eine sicher acht Ellen hohe Hagerose, die sich neben Luzindes Fenster im Hof die Mauer hochrankte. Die Blüten waren längst verwelkt und abgefallen. Stattdessen war sie üppig mit reifen roten Hagebutten behangen. Über das Gesinde und die Kinder gewann Luzinde keinen Überblick, da gab es so viele, und nach dem ersten Abend in der Hütte im Hof sah sie sie nie alle gleichzeitig, um sie auseinanderhalten zu lernen.
    Als Luzinde ein Brett mit Obst hinauf in die Stube tragen wollte, da klopfte es an der Tür. Mose stand zwar unten in der Diele und rumorte in einer Truhe, doch er rührte sich nicht. »Machst auf?« Die Magd stellte das Brett ab und öffnete sogleich. Draußen stand ein Bote und wedelte mit einem Brief. Mose trat neben sie.
    »Für den Herrn Gottschalk«, sagte der Bote und streckte das gefaltete Pergament auffordernd über die Türschwelle.
    Mose zögerte.

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