Die Lichtermagd
Teichen und feuchten Auen, dieser Keller aber war trocken und kühl. Ein Kichern von derTreppe, begleitet von leichten schnellen Schritten, ließ sie Verdacht schöpfen. »Jakob, du Schurke«, seufzte sie bedrückt. Offenbar war Rebekka nicht die Einzige, die sie hasste. Dieser Bengel! Der böse Streich war ihm gelungen. Der Krug war kaputt, und damit gab es wieder einen Grund mehr für Rebekka, sie auf die Straße zu setzen. Sie zog die Stirn in Falten und betrachtete den Frosch. »Komm, Kleiner«, murmelte sie und näherte sich
vorsichtig dem offenbar vom Bier ein wenig benommenen Lebewesen. »Wir werden dich hier besser herausholen, was?« Sie steckte das träge Tier in ein Tuch und räumte die Scherben weg. Dann füllte sie einen neuen Krug mit Bier und trug ihn hinauf zum Tisch. Als sie sich endlich zurückziehen konnte, sperrte sie den Frosch in ein Gefäß mit Gras, das sie auf die Fensterbank ihrer Kammer stellte. Sie hatte sich noch nicht entschieden, was sie mit ihm machen wollte. Das leise Rascheln seiner Bewegungen beruhigte sie. Die kleine Kreatur war vielleicht der einzige Freund, den sie in der Stadt besaß.
Erschöpft lehnte sich Luzinde gegen die Wand und spürte, wie nahe sie den ganzen Tag den Tränen gewesen war. Jetzt ließ sie ihnen freien Lauf.
Die Familie hier musste sie sehr hassen. Die Kälte und Ablehnung, mit der Rebekka sie behandelte, entmutigte Luzinde mehr, als sie es sich eingestanden hatte. Und die Mutter zog offenbar ihre ganze Familie mit. Auf eine andere Art war das ähnlich schlimm wie Margaret zu Pillenreuth. Bei der jungen Witwe waren wenigstens die Beweggründe halbwegs verständlich gewesen – die war faul und verfressen und wollte, dass andere die Arbeit für sie machten. Doch die Jüdin war Luzinde ein Rätsel. Sie konnte nicht einschätzen, wann sie zornig wurde und warum. Und wenn das bereits in der ersten Woche so ging, wie wäre das erst in ein paar Monaten … »So lang ertrag ich das nicht«, murmelte sie zu sich selbst. Sie sehnte sich nach Annas liebevoller Schelte, selbst nach Meisterin Elisabeths kühlen Zurechtweisungen.
Von draußen drangen Gebete herein; vermutlich ein weiterer Segen über der Mahlzeit. Luzinde zog die Stirn in Falten. Vielleicht war diese Anstellung auch keineVersuchung des Teufels, sondern eine Strafe Gottes? Oder eine Prüfung? Spontan warf Luzinde sich vor ihrem Bett auf die Knie, faltete die Hände
über den Anhänger der heiligen Luzia, den sie stets am Hals trug, und betete so laut, dass sie die jüdische Litanei übertönte. »Pater noster, qui es in caelis: sanctificetur Nomen Tuum …« Fünf Vaterunser später hatte Luzinde sich halbwegs beruhigt. Sie wollte sich gerade wieder auf das Bett legen, da wurde sie auch schon wieder herausgerufen. Das Essen sollte abgetragen werden. Widerwillig gehorchte sie. Sie hatte sich nicht für so wenig belastbar gehalten. Nagten noch die Wochen unter Margarets Knute, der Abschied aus Pillenreuth und die letztenTage in Nürnberg an ihr?
Rahel ging ihr nun wieder zur Hand. Und als Luzinde die zweite Ladung Geschirr aufnahm, um es zum Spülstein zu tragen, da sah sie, wie Mose selbst die Schnur am Dach der Hütte wieder befestigte, über die vorhin der Streit entbrannt war. Also durfte er die Hütte doch reparieren! Sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder ärgern sollte. Den Rest des Abends sprach kaum jemand aus der Familie ein Wort mit ihr. Sie wollte sich gerade aus der Küche in ihre Kammer fortstehlen, da hielt Rahel sie am Arm zurück. »Her Gottschalk fregt nach dir.«
Luzinde wrang besorgt die Hände, als sie hinauf in die Diele ging. Ihr Magen krampfte sich bei jeder Stufe weiter zusammen. Sicher hatten Mose und Rebekka ihre Beschwerde dem alten Hausherrn vorgetragen. Jetzt würde der sie sicherlich aus seinem Dienst entlassen, um den Hausfrieden zu bewahren. Aber wünschte sie sich das denn nicht? Sie war hier doch unglücklich! Aber die Alternative verhieß noch weniger Frohsinn.
Sie wappnete sich gegen das, was sie wohl erwarten mochte. Dann öffnete sie die Tür.
Gottschalk empfing sie in seiner Schreibstube; mit sorgenvoll gerunzelter Stirn über Listen von Gütern und Zahlen gebeugt.
Er nickte Luzinde zu und deutete auf einen Stuhl. Sie setzte sich. Sein ernster Blick traf sie. »Rebekka is heute ser zorendig.« Luzinde nickte bedrückt.
»Gestern war Schabbat, weißt. Schabbat ist ein heilig Tog. Und wir feiern auch gerad Sukkot , des Lauberfest.«
Luzinde runzelte
Weitere Kostenlose Bücher