Die Lichtermagd
ob der Maschiach … der Messias, sagt ihr … auch deine Sinden nimt, nit?«
Luzinde nickte bedrückt. Sie hätte niemals gedacht, dass dieser wackelige Alte früher zu ähnlichen Fehltritten fähig gewesen war wie sie selbst. Und doch war er ein angesehener Mann unter den Juden. Sein Geständnis machte ihr Mut. Und ohne ihn säße sie vermutlich noch heute auf der Straße. Also beschloss sie, ihm ein wenig Ehrlichkeit entgegenzubringen. Sie atmete einmal tief durch. »Ich … ich habe einem Mann meinen Jungfernkranz geschenkt, ohne mit ihm vor den Traualtar zu treten. Das ist eine Sünde. Und wenn Ihr mich dafür nun wieder auf die Straße setzen wollt, um Euren Ruf zu schonen, dann nur zu.«
Das Schweigen kehrte in die Kammer zurück. »Hast ihm denn deine Lib geschenkt?«, fragte der Alte schließlich.
»Ja«, flüsterte sie.
»Und er dir?«
Hatte er? Ein schmerzhaftes Ziehen im Bauch gab ihr die Antwort. Sie schüttelte den Kopf und biss sich auf die Lippen. Nach all der Zeit des Schweigens war es ein gutes Gefühl, mit jemandem darüber zu sprechen, dessen Urteil sie nicht fürchtete.
»Nein. Er hat mich verstoßen. Sie haben mich alle versto ßen. Und mit mir …«, sie seufzte und presste dann heraus, »mit mir mein Kind.« Sie wagte nicht aufzusehen.
Der alte Mann schwieg. »Wo ist des Kind jezt?«, fragte er dann leise. Luzinde wusste warum und sah auf ihre Fußspitzen. Man munkelte, dass viele Frauen die ungewollte Leibesfrucht im Fluss ertränkten, um der Schande zu entgehen. Und eine Kindsmörderin wollte sicher nicht einmal ein Jude unter seinem Dach dulden. »Ich weiß es nicht«, murmelte sie und schluckte schwer. »Sie haben es mir weggenommen. Ich habe versucht, es wiederzufinden. Die Welsers sagten, es käme in ein Kloster.« Die Schuld lastete schwer auf ihr, doch mehr würde sie ihm nicht offenbaren. »Es wurde mit einem Glückshäubchen geboren«, flüsterte sie erstickt. »So etwas ist ein Zeichen großer Weisheit.«
»Wer sind de Welsers?«
»Die Familie der Frau meines Buhlen.« Sie musste an Margaret denken, die sich in diesem Augenblick ebenso als Magd verdingte wie sie selbst. Doch Luzindes Gedanken kehrten zu dem Kind zurück. »Ich habe gesucht! Aber ich wusste nicht, wo ich suchen soll.« Tränen rannen ihr über die Wangen. »Ich wusste es doch nicht.« Die Heftigkeit ihrer Reaktion erstaunte sie selbst. Sie hatte gedacht, sich bereits vor Jahren mit dem Verlust abgefunden zu haben.
Der Alte räusperte sich gerührt und schwieg, bis sie sich wieder gesammelt hatte. »De hast den Mut aufgeben, nit?«
»Es gab nichts, was ich noch hätte tun können.«
»Wenn man hoft, gibt’s imer was, des man tun kan, Luzinde.« Er machte eine Pause. »Hat dein Got dich fer des aless auch farlassen?«
Ein Knoten im Hals machte ihr das Sprechen schwer, und so nickte sie nur. Man hatte ihr nach dieser Tat die Messe verboten,
und nur ihr Schweigen hatte ihr ermöglicht, wieder daran teilzunehmen. Obwohl sie wusste, dass Gott ihre Sünde kannte, schenkte die Messe ihrer Seele ein wenig Frieden.
»Siehst, da haben wir was gemein«, schmunzelte er. »Aber du willst zurik in seine Gnad?«
»Ja.«
»Dann is jo aless gut«, sagte der Alte lächelnd. »Sei ab jetzt rein und gut, und ich will dir deine Tat nit vorhalten.Wenn wir jung sind, verlieren wir bisweil den Scheidel. Erst wenn wir elter sind, seen wir des Gute in manchen beisen Wegen, auf die Adonai uns schickt. Denn hett er nit gewolt, des wir Feler machen – hett er uns dann einen freien Wilen gegeben – und so kleine Weisheit?«
»Ich … ich danke Euch. Herr.«
Dann griff der Alte nach seinem Bierkrug, nur um festzustellen, dass er leer war. Gedankenverloren stellte er ihn wieder ab und runzelte die Stirn. »Ich weiß nun um deine Sind, jung Luzinde. Aber mein Sohn und seine Mischpuche wissen noch wenig von den Schlingen des Lebens. Wir wollen se im Dunkeln lassen, jo?«
»Ja«, nickte Luzinde dankbar. Sie wusste selbst nicht, ob sie bereit wäre, noch jemand anderem davon zu erzählen. Sie war so erschöpft wie sonst nur nach einem großen Wäschetag zu Pillenreuth. Sie nahm sich den Krug und öffnete die Tür. »Ich hol Euch vor der Nachtruhe noch ein neues Bier, Herr.«
Er nickte dankbar, und Luzinde verließ erleichtert die Kammer. Sie durfte bleiben! Sie hatte die Stellung nicht verloren, und dass obwohl sie sich Gottschalk anvertraut hatte. Beinahe trunken vor Freude brachte sie ihm sein Bier und lächelte sogar Rebekka
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