Die Lichtermagd
starrte aus dem Fenster. »Ich hatt einen Oheim namens Mosse. Ein Bruder meines Foters. Er hatte den schpizedigsten Bart, den ich seit dem je geseen hab…« Er lächelte versonnen und strich sich über sein Kinn, als wolle er die Form der Bärte vergleichen.
Dann wurde er wieder ernst. »Sein erstes Waib war tot, von Rintfleischs Leuten erschlagen. Ein Man soll nicht allein bleiben, und so wollt er ein neues Waib.« Luzinde hatte von König Rintfleisch gehört. Man sagte, er sei um die Wende des Jahrhunderts mit einer Horde Bauern durchs Land gezogen, weil die Juden geweihte Hostien gestohlen und zermahlen hätten, bis das Blut Jesu Christi herausquoll. Sie erschauerte bei dieser Vorstellung. Die Gefolgsleute Rintfleischs waren in viele Städte eingefallen und hatten dort die Juden erschlagen, bis der damalige König den Mann hatte aufhängen lassen.
»Mosse blieb einige Jar alein. Dann nam er Sara zur Frau, de jung Tochter von einem Freund. Se war nur wenig elter als ich. Und se stand meinem Herzen nah.« Die Erinnerung hüllte ihn in einen Mantel der Freude. »Sara ehrte meinen Oheim. Doch der schtarb bald, und sie leitete ihn zu seinem Grab.« Er wedelte mit der Hand in eine Richtung. »Nun wollte Sara einen neuen Man. Ich ofenbarte ihr meine Lib, und se mir de ihre. Ich war kaum ein Man, se war trotz der Ehe noch ein jung Meidel. Wir waren einander so hold! Eines Abends fanden wir uns schpet noch dem Lauberfest alein in der Hitten wider, ohne die Mischpuche, die mit Argusaugen auf die jungen Leut schaut.« Er sah wohl ihren fragenden Blick, daher erläuterte er: »Verwandte. Sie sollen die jungen Leut nit alein zusamen lassen, wenn se einander ze nah verwandt sind.«
Luzinde lächelte wehmütig. So groß die Unterschiede sein mochten, in manchen Dingen waren sich Juden und Christen wohl ganz ähnlich. »Habt Ihr sie geehelicht?«, fragte sie gespannt.
»Nein«, das Gesicht des Alten zeigte noch jetzt, etliche Dutzend Jahre später, einen Schatten von Trauer. »Als Frau meines Oheim war sie mir farboten. Sie ging zu einem guten Man in Frankfurt.«
Die Magd runzelte enttäuscht die Stirn. Warum erzählte ihr der Mann diese Geschichte, wenn sie doch keinen guten Ausgang genommen hatte?
»Aber in jener Nacht«, sprach der Mann mit einem Funkeln in den Augen, »da wollten wir davon beide nits wissen.« Luzinde lächelte – also doch ein gutes Ende.
»De schmunzelest. Aber wir haben damit die Gesez Adonais gebrochen. Und unsere Laiber farschwecht – entweiht, segt er Krischten.« Er hielt bedrückt inne. »Ich hab lang Zeit gebraucht, mir ze fargeben.« Dann sah er auf und hatte eineWärme im Blick, die Luzinde überraschte. »Doch de Zeit mit Sara is immer bei mir. Des hat gut’s wie schlecht’s. Weißt was ich mein?«
Die Magd verstand ihn gut. Trotz Konrads Verrat an ihr, obwohl er von dem Kind nichts hatte wissen und sie nicht zu einer ehrlichen Frau machen wollen, blieb ihr doch noch die Erinnerung ihrer Liebe an ihn. Und die unglaubliche Hoffnung, die sie bei der Geburt ihres Kindes empfunden hatte. Egal was ihr noch geschähe, daraus zog sie Kraft. Der Mensch war eine widersprüchliche Kreatur.
»Warum erzählt Ihr mir das?«, fragte sie leise.
»Ein Mentsch is nie nur gut oder nur beis, Luzinde. Die meisten Geschepf haben imer Gut’s wie Beiskeit. Diese sind mer des eine, jene des andere.« Er hielt inne und sah sie prüfend an, bevor er fortfuhr, und sie meinte, einen Hauch der Sorge darin zu finden. »Du aber bist nit so. De bist anders. Mir will scheinen, des de von beidem gleich viele Teil in dir hast. Nur wenig Mentschen steen so in der Mitten.«
Luzindes Augen weiteten sich furchtsam. »Was heißt das? Dass ich ein böser Mensch werde?«
»Willst’e beis sein?«
»Nein!«
Der Alte zuckte mitfühlend mit den Schultern. »Adonai gab uns einen freien Wilen, Kind. Und der Wile ist’s, der dich auf die eine oder die andere Seit bringt. Der leichte Wek, der firt imer zum Beisen. Das einzik Ding, was man da opfert, des is’ das Gewissen. Wer gut sein wil, der muss sich jeden Tog neu dafir entscheiden. Des is ein Kampf, Luzinde.«
Bei seinen Worten fuhr ihr die Furcht in die Glieder. Dann aber runzelte sie die Stirn. »Euer Gott hat keine Macht über mich. Ich folge dem Erlöser Jesus Christus, der meine Seele in den Himmel führt.« Sie hörte selbst, wie trotzig das klang.
Gottschalk schien keine andere Antwort erwartet zu haben. »Und doch hast’e gesindigt, nit? Und nun bangst’e,
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