Die Lichtermagd
Während Bel sich ekelte und Rebekka ungehalten fragte, ob das gar ihr eigener Honig gewesen sei, kicherte Jakob verschmitzt und schwieg. Tags drauf fand Luzinde mehrere Dutzend Nacktschnecken in ihrer Waschschüssel. So entspann sich ein Gefecht der Neckereien zwischen den beiden.
Nach der ersten Oktoberwoche – Luzinde war nun über zwei Wochen im Hause Gottschalks, gab eine murrende Rebekka zusätzlich noch eine ihrer eifersüchtig gehüteten Pflichten an sie ab: Ihr wurde aufgetragen, die Kinder beim Spielen mit Ball oder Kreisel auf der Straße zu beaufsichtigen. Zu ihrem eigenen Erstaunen bereitete ihr das mehr Freude als Unbehagen. Rebekka ermahnte sie allerdings streng, den beiden keine unkeuschen Flausen in den Kopf zu setzen oder zu versuchen, ihnen die »Lehre vom falschen Maschiach« näherzubringen. Luzinde verstand erst nach einerWeile mit Entsetzen, dass sie damit den Erlöser gemeint hatte.
Neben all diesen neuen Entwicklungen ging Luzinde endlich wieder mehrmals in der Woche zur Messe. Das hatte sie zwar auch in Pillenreuth regelmäßig getan, dort jedoch das Messopfer nur mit einem schlechten Gewissen angenommen, weil sofort aufgefallen wäre, wenn sie es verweigert hätte. Hier in Nürnberg aber konnte sie an den Gottesdiensten teilnehmen, ohne den Leib Christi anzunehmen, da das in der Menge kaum auffiel.Trotz ihrer Abfuhr durch die Mutter Oberin Agnes dort erwählte sie den Klarissenkonvent zu ihrer Stammkirche. Da sie sich nicht immer nach Sankt Laurentius hinein traute, zog sie den Armenkonvent am Kloster außerhalb der Mauern vor. Hier war sie unter ihresgleichen und schämte sich nicht ihrer schlichten Gewänder.
An einem bereits kühleren Tag Mitte Oktober beeilte sich Luzinde, um noch rechtzeitig in die abendliche Vesper zu kommen. Das Geläut der Klöster war gerade verstummt, als sie mit dem Putzen der Dielen fertig war. Sie verzichtete darauf, sich vorher noch zu waschen, warf bloß ihr durchnässtes und verschwitztes altes Kleid ab und streifte das grüne über, das sie von Rahel erhalten hatte, als sie zum ersten Mal in Gottschalks Haus aufgewacht war. Dann war sie auch schon aus der Tür und hastete durch die Straßen der Stadt und hinaus aus dem Tor. Auch auf dem Rückweg würde sie sich eilen müssen, um nicht ausgesperrt zu werden, denn die Tore wurden meist bei Sonnenuntergang geschlossen. Mit einigen anderen Nachzüglern erreichte sie schließlich die Mauern des Konvents und eilte durch den leeren Hof. Sie wollte gerade die Kirchhalle betreten, da sah sie Mutter Agnes am Eingang des Schwesterngebäudes. Sie sprach mit Ulman Stromer.
Überrascht verbarg sich die Magd hinter einem Gebüsch, um von Ulman Stromer nicht erkannt zu werden. Er glaubte ja, sie wäre eine Jüdin.Wie sollte sie ihm da wohl erklären, was
sie in einem christlichen Gotteshaus verloren hatte? Sie lugte hinter der Mauer hervor, unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte.
Der junge Mann wurde gerade von Mutter Agnes gesegnet. Er winkte zwei Männer in Leder- und Kettenrüstungen herbei, die ein kostbares und offenbar recht schweres Holzkästchen an Stangen zwischen sich trugen. Ulman öffnete das Kästchen nicht, er legte nur die Hand darauf und machte dann eine einladende Geste. Die Oberin trat davor und versperrte mit ihrem schmalen Rücken Luzindes Sicht.
Doch als sich die Mutter wieder umdrehte, war von ihrer sonstigen Frostigkeit kaum noch etwas zu spüren. Sie lächelte überaus erfreut und reichte Ulman die beringte Hand zum Kuss. »Auf drei Jahre wollen wir Euch und Eurer Familie hier in Sankt Klara die Messe lesen, junger Mann! Der Herr wird es Euch wahrlich danken.« Dann winkte sie eine andere Nonne herbei, die sich bislang unruhig im Hintergrund gehalten hatte. »Schwester Elisabeth – zeig den Herrschaften doch wohl bitte, wo sie die Truhe abzustellen haben. Der Herr Ulman hat unserem Haus eine überaus akzeptable Spende gemacht.«
Luzinde fand die Betonung dieses Satzes merkwürdig, wie auch die Reaktion der Nonne, die tief errötete und sich ein sattes Grinsen nicht verkneifen konnte. Luzinde kam die Schwester vage bekannt vor – vermutlich war sie ihr bei einem ihrer letzten Messgänge aufgefallen.
»Tante«, grüßte Ulman die Nonne höflich, und sie gab die Verbeugung zurück. Dann ging die kräftige Frau voran und bedeutete den Bewaffneten, einer davon ein Mann mit schlecht verheilten Narben im Gesicht, ihr zu folgen.
»Euer Wohlwollen ist meiner Familie ein großer Lohn,
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