Die Lichtermagd
offen zu, die ihr im Hof mit säuerlichem Gesichtsausdruck begegnete. Sie würde es hier nicht leicht haben, das wusste sie. Aber mit Gottschalk als Verbündetem würde sie das
schaffen. Endlich hatte sie wenigstens wieder den Mut, nach vorne zu schauen und den Kampf aufzunehmen. In ihrer Kammer fiel ihr Blick auf das Steingutgefäß auf der Fensterbank. Sie lächelte. Eine Schlacht würde sie gleich jetzt aufnehmen. Sie huschte mit dem Krug hinaus, um für einen der Hausbewohner eine Überraschung vorzubereiten …
Später im Bett dachte Luzinde lange über den ereignisreichen Tag nach. Gerade, als sie endlich die Müdigkeit in ihre Glieder kriechen fühlte, störte ein entsetztes Quieken aus dem Haupthaus die nächtliche Stille. Dann drang fröhliches Kinderlachen über den Hof.
»Jakob! Schmeiß den Frosch aus’m Fenster, schnell!«, keuchte Bel, und der Bursche kicherte nur noch lauter.
»Ich war’s nit! Bel, ich war’s nit!«, beteuerte der Bube, trotz seines Bekenntnisses hörbar begeistert von dem Streich.
»Wer war’s denn dann, Jakob? Bring ihn raus, du Schmok!«
»Bel!«, rief Jakob entrüstet. Luzinde drehte sich in ihrem Bett um und grinste vor sich hin.
Sie durfte bleiben.
KAPITEL 9
Den ersten Sonntag nach König Karls Einzug verbrachte man in Nürnberg mit großer Würde und Besinnlichkeit. Die Juden gingen den ganzen Tag wohlweislich nicht aus dem Haus, denn die Christen strömten in die Kirchen, und Luzinde, die ein wenig freibekommen hatte, war unter ihnen.
Der nächste Morgen allerdings hielt eine Überraschung für die Schabbesmagd bereit. Nach dem Frühstück klopfte es an der Tür. Sie öffnete mit vom Spülen noch nasser Schürze und erstarrte. Dort stand jemand, den sie kannte.
»Gott zum Gruße«, sagte Ulman Stromer höflich. »Ich will deinen Herrn treffen, Judenmaid.«
Er wartete, bis Luzinde zögernd die Tür frei gab. »Ich -«, begann sie, doch er unterbrach sie. »Es ist recht. Er weiß, dass ich komme.« Erkannte er sie denn gar nicht? Sicher, bei ihrer ersten Begegnung hatte sie ein Tuch um den Kopf geschlungen gehabt und ärmlichere Gewänder getragen. Und vermutlich lag es nicht nahe, von einer Hofmagd bei Pillenreuth auf eine Judenmagd in Nürnberg zu schließen … Doch sie für eine Jüdin zu halten? War sie bereits so gottlos, dass man ihr die Christin nicht mehr ansah?
»Ich bin nicht -«
»Herr Ulman, nit?« Mose kam die Treppe herunter und neigte das Haupt. »Mein Foter freit sich auf Euch, seit er de Botschaft erhalten hat. Bitte, komt.« Dann ging er voran.
Der junge Patrizier aber wandte sich noch einmal der Magd zu. »Wie ist dein Name, Mädchen?«
»Luzinde, Herr.«
»Luzinde? Nach unserer heiligen Luzia?« Er lächelte überrascht und suchte ihren Blick. Luzinde nickte nur.
»Wie erstaunlich. Die heilige Luzia ist die Schutzpatronin meiner Familie.« Er betrachtete sie nachdenklich. Die Hand der Magd ging unwillkürlich zu dem verborgenen Luzienamulett unter ihrem Kleid. Sie musste ihn korrigieren! Doch bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr Ulman fort. »Auch die Venezianer verehren sie sehr. Und sie ist die Heilige der Mägde, oder?«
»Und der Schreiber, Herr.«
Ulman lächelte überrascht. »Und der Schreiber, ja. Ihr Name bedeutet die Leuchtende oder die Lichtergleiche, weißt du?«
»Ich – ja, ich glaube schon, Herr.«
»Ihr Juden seid merkwürdig. Ihr glaubt nicht einmal an unseren Heiland, aber ihr tragt sogar die Namen unserer Heiligen.«
Er musterte sie wieder, und sein Lächeln schwand. Plötzlich sah er ganz ernst aus. Luzinde schluckte betroffen und brachte kein Wort heraus.
»Aber er passt zu dir«, sagte Ulman leise. Dann wandte er sich um und sprang, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, Mose folgend die Treppe hoch.
»Danke, Herr«, stammelte sie überrascht, doch sie hörte seine Schritte schon oben auf den knarrenden Dielen. Für den Rest des Tages hatte sie sämtliche Handgriffe vergessen, die im Haushalt zu tun waren, und verbrühte sich zwei Mal an der Feuerstelle.
Knapp zwei Wochen gingen ins Land, in denen die letzten Tage des Septembermonats dem Oktober wichen. Während drau ßen das Wetter unwirtlicher und trostloser wurde, lernte Luzinde in dieser Zeit das Leben im jüdischen Haus kennen und
die schlimmsten Fallstricke vermeiden. Sie ließ die Finger vom koscheren Essen, das rein war und bleiben musste, sowie vom gekascherten Geschirr, das mit Feuer oder Wasser rituell gereinigt worden war. Sie zündete
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