Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
das Herdfeuer nicht an, weil die Familie Wert darauf legte, akzeptierte, dass sie am Schabbestag einige Arbeiten übernehmen musste, die Juden nicht ausführen durften. Umgekehrt erhielt Luzinde am Sonntag mehrere Stunden frei, in denen sie tun durfte, was sie wollte.
    Offenbar waren am Schabbes besonders viele Arbeiten nicht gestattet, die mit dem Haushalt zu tun hatten, wie Backen und Nähen, aber auch das Schreiben. Hinzu kamen einige Merkwürdigkeiten wie etwa das Hinein- oder Heraustragen von Dingen aus dem Haus. Aus diesem Grund schienen die Judenhäuser auf dem Zotenberg alle irgendwie miteinander verbunden zu sein. So konnte man sich gegenseitig besuchen, ohne das Haus zu verlassen und dabei vielleicht eine der vielfältigen Vorschriften zu brechen. Offenbar waren manche Gebote so lästig, dass selbst gläubige Juden versuchten, sie zu umgehen.
    Sie lernte, dass jüdische Frauen ihrem Glauben nach einmal im Monat unrein wurden und anschließend in der Mikwe eintauchten, dem Judenbad bei Sankt Laurentius. Bel erklärte ihr gern all die Vorschriften, die sie sehr ernst nahm. Die christliche Eigenart, nicht regelmäßig in einem fließenden Gewässer zu baden, fand sie ausgesprochen unangenehm.
    Als erstaunlichsten Unterschied zu einem christlichen Haushalt empfand Luzinde die Aura der Gelehrsamkeit, die Gottschalks ganzes Haus durchdrang. Besonders der alte Mann selbst, aber auch sein Sohn Mose, lasen in jeder Mußestunde in Schriftrollen und Büchern. Die waren meistens in der Schrift der Hebräer gehalten, wie Bel ihr erklärte, jenen Zeichen mit den Fähnchen. Selbst die Tochter lernte von ihrer Mutter lesen und schreiben und beherrschte mehrere Sprachen. Luzinde
selbst hatte von ihrem Vater zwar auch Lesen und Schreiben gelernt, aber damit war sie als Tochter eines Schreibers in Lindelberg bereits eine Ausnahme gewesen.
    Und über was nicht alles diskutiert wurde! Wie oft man ein Milchmesser, das in Berührung mit Fleisch gekommen war, in die Erde stoßen musste, um es wieder zu kaschern. Ob es recht war, um des lieben Friedens willen einen Krug Rotwein von einem Christen anzunehmen, wie Gottschalk fand, oder ob die Gebote und Verbote der Tora genau darauf abzielten, Juden und Christen voneinander zu trennen, wie Mose überzeugt war. Auch Jakob saß oft bei diesen Streitgesprächen dabei und lernte Lesen und Schreiben von seinem Vater und Großvater (den er Zeydel nannte), doch er beteiligte sich nur selten an ihren Gesprächen. Als Luzinde, fasziniert von diesen Gesprächen, ab und an in ihrer Arbeit innehielt und ein Weilchen zuhörte, stellte sie fest, dass die Männer zwischen mehreren Sprachen hin- und herwechselten, die sie gar nicht alle benennen konnte. Das Hebräische, das Jiddische, die Nürnberger Mundart, eine Mischung aus beidem, etwas völlig Fremdes, aber auch den singenden Ton der welschen Sprache hörte sie heraus.Tag für Tag empfand Luzinde mehr Respekt für die Gelehrsamkeit dieser Menschen.
    Die Familie schien Luzinde mit der Zeit zu akzeptieren. Sicher, anfreunden würde sie sich kaum mit Mose, der ihr mit seiner skeptischen Art begegnete, oder gar Rebekka, die gegen Luzinde eine merkwürdige Eifersucht zu hegen schien. Doch man begegnete sich mit Respekt. Schnell stellte sie fest, dass die beinahe erwachsene Bel und sie eine Leidenschaft für Kräuter teilten. Sie lehrte das Mädchen einige Namen und Verwendungen von Heilkräutern, wie sie ihr aus Pillenreuth bekannt waren, und empfahl ihm, dem Schafgarbentee gegen Unterleibskrämpfe auch ein wenig Thymus vulgaris beizumischen,
um die schlechten Säfte zu reinigen – und den Geschmack zu verbessern. Auch das Mädchen wusste einige Empfehlungen zu geben, doch da blieb Luzinde skeptisch. Sie wollte die jüdische Kräutermagie nicht annehmen; nicht, wenn sie nicht wusste, dass sie harmlos wäre.
    Am meisten verblüffte Luzinde aber ihre Beziehung zu Jakob. Seit sie ihm den Frosch zurück ins Bett gelegt hatte, war der Junge schlicht begeistert von ihr. Offenbar hatte es noch niemand gewagt, ihm seine Neckereien mit gleicher Münze heimzuzahlen. Die Magd bereute ihre Tat beinahe, als sie ein paar Tage später ihre neuen hölzernen Trippenschuhe, die Rahel im Keller für sie aufgetan hatte, mit Pferdeäpfeln zugestopft fand. Doch Luzinde beschloss, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie warf den Fehdehandschuh zurück, indem sie seine Holzschuhe von innen mit einer dünnen Schicht guten Honigs aus dem Nürnberger Reichsforst einschmierte.

Weitere Kostenlose Bücher