Die Lichtermagd
Ehrwürdige Mutter«, dankte der Patrizier der Oberin artig.
Luzinde wandte sich ab. Ihr Herzschlag beruhigte sich, denn es war unwahrscheinlich, dass sie entdeckt würde. Der Herr Ulman würde sicherlich nicht hier in Sankt Klara an der Messfeier teilnehmen – er gehörte eher nach Sankt Laurentius oder Sankt Sebald, wo die Ratsfamilien ihre Wappen und Gräber hatten. Also gesellte sich die Magd zu den letzten eintreffenden Gläubigen und betrat den Kirchenraum mit einem Kniefall und einem vor der Brust geschlagenen Kreuz. Halle und Chor waren vergleichsweise niedrig und breiter als lang, so dass die Kirche gestaucht wirkte. Die Wandmalereien auf dem hellen Untergrund bildeten Klara ab, doch an den Seitenaltären gab es auch andere Darstellungen. Der Heiligen Luzia war im nördlichen Bereich ein größeres Wandgemälde sowie ein Klappaltar mit vielen Kerzen gewidmet. Im Chor betete ein Priester nach Osten gewandt das Kyrie. Luzinde stellte sich mit gesenktem Haupt hinter die anderen Gläubigen.
Der lateinische Text klang durch die erhabene Halle. Dieser Ort strahlte nicht die Bedrohlichkeit manch anderer Kirche aus.Trotzdem kam es der Magd so vor, als würde sie unter dem uralten Ritus kleiner werden. Die Macht Gottes ragte so hoch, so gewaltig über ihr empor, dass es ihr unmöglich schien, als kleiner Mensch davor bestehen zu können. Zwar wusste sie um die Macht der Reue und der Vergebung Gottes. Doch war sie dessen würdig? Sah Gott überhaupt auf sie herab, eine kleine und unwichtige Magd? War er willens, auch ihr zu vergeben? Sie konnte keine Messen spenden, keine Stifte gründen oder ertragreiche Teiche und Wälder verschenken. Wenn die Reichen so viel zu geben hatten – würde Gott sie da noch wahrnehmen? Sie hoffte es, und sie betete darum.
Jemand stieß sie an und riss sie aus der Andacht. »Du!«, zischte eine Stimme, und als Luzinde aufsah, da blickte sie in Margaret Berainers wütendes Gesicht. »Was willst du hier?«
»Ich will nur beten, Margaret«, verteidigte Luzinde sich.
»Du hast in einem Haus Gottes nichts zu suchen, Hure!«, zischte die andere, die ebenfalls in schlichte Kleider gewandet war.
Luzinde hoffte nur, dass niemand ihre Worte gehört hatte. Immerhin hatte Margaret ihr gedroht, sie werde sie anzeigen, wenn sie einander noch einmal über den Weg liefen. Wütend flüsterte sie zurück: »Aber du etwa? Haben sie dich hier angestellt, weil du so ausgesprochen fleißig bist?«
Die andere funkelte sie an. »Metze«, sie trat näher an Luzinde heran und knurrte: »Sehe ich dich hier noch einmal, gehe ich zu Mutter Agnes und erzähle ihr, warum du aus Pillenreuth wegmusstest! Und das willst du doch nicht, oder?«
»Du willst ihr sagen, dass sie mich aus Pillenreuth vertrieben haben, weil du gelogen, betrogen und die Speisekammer der Schwestern beraubt hast?« Luzinde schloss erschrocken den Mund. Hatte sie das gerade laut gesagt? Die alte Panik wallte in ihr auf.Wo sollte sie hin, wenn sie wieder fort müsste? Gottschalk würde sie bestimmt nicht behalten, wenn er die Wahrheit erführe. Sie durfte Margaret nicht in die Enge treiben, sonst war alles vorbei, was sie sich hier aufgebaut hatte! »Ich werd’s niemandem sagen«, versicherte sie schnell, denn Margaret hatte wie ein Bulle beim Angriff den Kopf zwischen die Schultern gezogen.
Eine Nonne kam herüber und mahnte sie zur Stille. Luzinde erkannte in ihr die Frau, die vorhin mit Meisterin Agnes die Spende Ulman Stromers entgegengenommen hatte. Jetzt konnte die Magd erkennen, dass sie um die dreißig Jahre alt sein mochte. Das Einzige, was Luzinde unter dem Habit von dem Gesicht auffiel, war, dass sie einen spitzen, verkrampften Mund besaß.
»Margaret?«, fragte die Nonne nun ungehalten. »In manch anderer Kirche ist Schwätzerei üblich. Nicht so in Sankt Klara.
« Dann runzelte sie die Stirn, denn offenbar erkannte sie die Spannung in Margarets Zügen. »Geht es dir gut? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»Elisabeth«, stammelte Margaret. »Es geht mir gut. Ich wollte nur gerade -«, Luzinde zog den Kopf ein. Würde sie der Nonne etwas mitteilen? »Es ist nichts. Ich habe diese junge Frau nur mit jemandem verwechselt.« Luzinde atmete auf.
»Diese Frau?«, die Nonne zog eine Augenbraue hoch und musterte Luzinde abschätzend. Der Magd stellten sich bei dem Blick sämtliche Haare auf. »Kenne ich dich nicht? Bist du nicht eine Jüdin?«
»Ich – nein, das bin ich nicht, Schwester«, stotterte
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