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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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und das schulterlange Haar waren bereits streifig vom Grau. Der Stoff seiner völlig abgenutzten Kleider zeugte von ehemals guter Qualität, doch seine Füße steckten bloß in Holzschuhen. »Greifst einen Christenherrn auf offener Straße an! Ihr hetzt ja schon eure Kinder auf, verdammte Gottesmörder!« Und bevor Luzinde heran war, holte er aus und schlug Jakob mit dem Handrücken hart ins Gesicht. Der Bube flog zurück und schlug mit dem Kopf gegen die Wand eines Bauernkarrens, aus dem sich der Hafer eines geöffneten Sackes über ihn ergoss. Dort blieb er liegen.
    »Jakob!«, stieß Luzinde gellend aus und sprang hinzu, um ihn aus dem Korn zu ziehen. Als sie das Blut an seinem Kopf sah, wurde ihr ganz kalt. »Du!«, schrie sie den Kerl empört an. »Er hat dir doch gar nichts tun wollen!« Rebekka hastete mit kalkbleichem Gesicht herüber, Fischlein immer an ihrer Seite.

    »Er hat mich angegriffen!«, rief der Mann. »Ist er tot? Gut so!« Dann rief er, so dass es alle Umstehenden hören konnten: »Eine Zecke weniger im Pelz der alten Mutter Nürnberg!«
    »Tot?«, stammelte Rebekka und warf sich auf die Knie, um den Jungen aus Luzindes Armen zu reißen.
    »Nein, Rebekka, er ist nicht tot. Er atmet ja noch!« Luzinde überließ den Burschen seiner Mutter und wandte sich zu dem Übeltäter um. Sie erschauerte bei der Kälte, die in seinem gesunden Auge stand.
    Seine Worte aber verhallten nicht ungehört. Auf dem Markt wurde es sehr still. Alle Männer und Frauen wandten sich der Szene zu und starrten schweigend herüber. Nur Rebekkas glückliches Gestammel war zu hören. Plötzlich fiel Luzinde auf, wie viele Juden hier auf dem Markt tatsächlich standen, und wie viele Christen. Mit einem Mal schienen die Unterschiede zwischen ihnen unerklärlich greifbar. Luzinde kam es beinahe so vor, als rückten die beiden Gruppen ein Stück weit voneinander ab, ohne sich zu bewegen.
    »Was denn?«, höhnte der einäugige Mann. »Wollt ihr mir was tun, ihr Maden? Wollt ihr mich totschlagen? Kommt nur, kommt! Traut euch was! Denn wenn ich sterbe, dann werden alle aufrechten Christenmenschen dieser Stadt die Fackeln anzünden und euch erschlagen wie die räudigen Hunde, die ihr seid!«
    Die Menge der Juden auf dem Markt starrte den Mann nur an. Niemand sprach ein Wort, und niemand rührte sich. Doch auch die Christen zögerten.
    »Kommt schon! Ich erschlage eure Kinder, und ihr rührt euch nicht? Feiges Pack! Kein Wunder, dass sie euch aus der Heiligen Stadt geworfen haben!«
    Jetzt machte ein Großteil der jüdischen Marktgänger unwillkürlich einen Schritt nach vorne, und Rebekkas Knecht
Fischlein hatte plötzlich einen Knüppel in der Hand. Die christlichen Handwerker hingegen zogen ihre Kinder und Frauen zurück. Luzinde hockte sich an den Karren. Würden die Juden etwas tun? Und wenn ja – wie würden die Christen reagieren? Wenn es hier zu einem Gemetzel käme, dann wollte sie niemandem in die Quere kommen. Doch als es auch nur so aussah, dass die Juden zur Tat schreiten wollten, schreckte der Angreifer mehrere Schritte zurück.
    »Heda, Handwerkersleut! Aufrichtige, rechtschaffene Bürger! Wollt Ihr das geschehen lassen?«, rief der Einäugige. Doch die angesprochenen Christen warteten ab, während drei jüdische Fleischhauer nun mit Fischlein die Schultern schlossen, die großen Haumesser in den Fingern. Sie starrten wütend herüber, als könnten sie den Mann mit Blicken aufspießen. Luzinde hielt den Atem an.
    »Mame?«, drang das weinerliche Stimmchen von Jakob in die Stille zwischen den Männern. Er zog mit seiner kindlichen Unschuld die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich.
    »Sch, mein Bub«, murmelte Rebekka weinend dazwischen. »S’is gut.«
    Luzinde atmete erleichtert aus. Mit diesem einen kurzen Wort hatte Jakob die Spannung auf dem Marktplatz aufgelöst. Das merkte auch der Einäugige, doch er schäumte vor Wut. »Jetzt lacht ihr Ketzer euch etwas, nicht? Aber keine Bange! Ich beende, was ich angefangen habe! Euch wird schon noch Hören und Sehen vergehen!« Damit gab er Fersengeld und verschwand die Straße hoch, weg vom Judenviertel, durch das der Markt hindurch führte, und hin zum Rathaus.
    Luzinde lehnte sich zurück und schloss für einen Augenblick die Augen, so froh war sie. »Geht es ihm gut?«, fragte sie dann.
    »Er is aufgewacht. Des is aber nit dein Schuld, Schlimmesalnize!«, keifte Rebekka. Die Magd konnte ihr das nicht einmal
vorwerfen. Hätte sie die Samen der Hagebutten nicht in seinen

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