Die Lichtermagd
Nacken gestreut, wäre all das nicht passiert.
Doch die Mutter wendete sich wieder ihrem wimmernden Sohn zu. »Is gut, Jakob, ich hab dich, wir -«
»Wo is de Luzind?«, fragte der Bube schniefend. »Mir tut de Scheidel we. De Luzind sol mich halten, de hat so schen kalte Hend.«
»Luzinde hat nit achtgegeben auf dich, Bub. Jezt is de Mame da, und aless wird -«
»Ich wil de Luzind!« Nun begann Jakob stärker zu weinen, was ihm offenbar noch mehr Kopfschmerzen bereitete, denn er begann zu wimmern.
Rebekka schoss der Magd einen so zornigen Blick zu, dass diese vor Schreck erstarrte. »De kriegst de Luzinde aber nit mer! De is schuld, dass de fast tot werst! Luzinde wird nie mer auf dich aufpassen! Und jezt is Schluss.« Damit winkte sie den Knecht Fischlein herbei und hieß ihn den weinenden Jungen vorsichtig aufnehmen und wegtragen. Dann wandte sie sich wieder Luzinde zu.
»De werst nit mehr aufpassen auf meine Kinder. De werst nit mer spielen mit meinen Kindern. Und de wirst nit mer reden mit meinen Kindern. Farschtend?«
Luzinde nickte bloß, selbst den Tränen nah.
»Was het der elte Gottschalk sich blos gedacht!«, schimpfte die Mutter noch, schnappte ihre Tochter bei der Hand und stapfte mit Fischlein nach Hause. »De kanst schon deine Lumpen packen, Geylerin!«
Luzinde sah nicht auf. Rebekka hatte Recht. Vielleicht war sie Schuld an dem Angriff auf Jakob. In jedem Fall aber tat die Mutter Recht, ihr die Kinder nicht mehr anzuvertrauen. Mit einem schmerzenden Stich in der Brust erinnerte die Magd sich an die Worte ihres Vaters, damals, in der stürmischen
Novembernacht in der Kate vor Lindelberg: »Du kannst noch gar nicht ermessen, was für eine Verantwortung du dir damit aufbürden willst. Für dich ist es besser so, und für das Kleine auch.« Auch Jakob war ganz sicher besser dran, wenn sie ihn nicht weiter in Gefahr brachte. Sie wollte nicht noch einmal verantwortlich dafür sein, dass ihm etwas zustieß.
Doch Luzindes Herz wurde schwer.Warum zerstörte sie immer sofort alles, was sie aufgebaut hatte? Gerade hatte sie begonnen, sich in Gottschalks Haus heimisch zu fühlen, hatte gar gedacht, sie lebte dort sicher und zufrieden. Und dann tat sie etwas, das ihr eigenes Glück mit einem einzigen Streich vernichtete. Aber jetzt wieder auf die Straße müssen? Der Herbst hatte längst begonnen, und ob sie auf der Straße einen Winter überleben würde, das wusste nur Gott der Herr allein. Luzinde strich sich die Tränen von den Wangen und trottete Bel und dem Gesinde hinterher, heim auf den Zotenberg.
»Des is nit ihre Schuld. Und ich hab kein Farlangen nach einem neuen Schabbesgoje«, sagte aber der alte Gottschalk knapp und weigerte sich, Luzinde vor die Tür zu setzen. Damit war die Diskussion beendet, so sehr Rebekka auch zeterte und schimpfte.
Die Stimmung im Haus verschlechterte sich durch diesen Zwischenfall so drastisch, dass Luzinde schon nach zwei Tagen beinahe wünschte, der alte Herr hätte sie doch aus seinen Diensten entlassen. Denn Rebekka blieb ihrem Versprechen treu: Luzinde durfte mit den Kindern nicht einmal mehr sprechen. Und so zerschellte am dritten Tag ein Krug mit Dünnbier auf dem Dielenboden der Kemenate.
»Ich les nit!«, schmollte Jakob und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Jakob, de wirst lesen, sonst holt der Foter de Rute.« Rebekkas Stimme zitterte vor Ungeduld.
»Soll er doch. Ich les nit!«
Luzinde unterdrückte einen Seufzer und rannte nach Tüchern, um das Chaos zu beseitigen, bevor es den weichen Teppich der Stube erreichte. Sie konnte die Mutter verstehen. Dies war das dritte Gefäß, das der Junge heute herunterwarf. Der Arzt hatte Jakob den Kopf gesäubert, verbunden und ihm zweiTage Ruhe verordnet, in denen der Junge aber schon nicht mehr auf dem Lager zu halten gewesen war. Seitdem waren drei Tage vergangen, in denen der sonst so fröhliche Bube wie ausgewechselt schien.
Jakob hatte nicht mehr mit Luzinde gesprochen, seit der Angriff auf dem Markt passiert war. Noch am ersten Tag hatte er mit kleinen Gemeinheiten gegen sie begonnen, die über das übliche Maß ihrer Neckereien deutlich hinausgingen. Er hatte ihre Lederschuhe in einen Topf kochenden Kräutertees getunkt, hatte ihr seinen Nachttopf durch das Fenster geworfen und die gewaschenen Laken zerschnitten, die trotz des wechselhaften Wetters im Innenhof zum Trocknen hingen. Tags darauf brach er in Wutausbrüche aus, wann immer sie zugegen war. Luzinde ließ das alles schweigend über
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