Die Lichtermagd
Schulterzucken zu überspielen. »Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter.«
»Und Namen offenbar auch«, sagte sie, während Jakob ihr
begeistert davon berichtete, dass die Rübe meistbietend versteigert werden sollte.
Als Caspar den Jungen sah, runzelte er die Stirn. »Du hast eine Anstellung gefunden?«
»Ja«, erwiderte Luzinde. »Der Herr Gottschalk war so freundlich, mich aufzunehmen. Nun arbeite ich dort als -«
»Und du schämst dich nicht, mit den Juden in der Öffentlichkeit gesehen zu werden?«, fragte er in hartem Ton. »Sie sind hier nicht gerne gesehen. So mancher anständige Bürger hat seine Existenz durch sie verloren.«
»Ich – also«, stammelte Luzinde. »Sie sind eigentlich recht freundlich zu mir.«
»Aber weißt du denn, was sie wirklich von dir wollen?«, hakte der Krämer nach. »Diese Juden, die haben doch bei allem Hintergedanken.«
Luzinde verstummte, denn sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Caspar drückte dieselben Zweifel aus, die ihr am Anfang gekommen waren. Und natürlich wusste man nicht genau, was in einem anderen Menschen vorging. Wusste sie denn wirklich, ob Gottschalk es gut mit ihr meinte? Vertraute sie ihm inzwischen? Sie wusste es nicht genau. Doch er war der einzige Mensch in Nürnberg, der ihr die Hand gereicht hatte. »Ihr leiht doch auch Geld bei den Juden und macht Euch so abhängig«, gab sie zurück. »Und bislang«, ihre Stimme wurde fester, »bislang hat mir Herr Gottschalk noch keinen Grund gegeben, ihm zu misstrauen.«
»Aber er ist ein Jude«, erwiderte Caspar, als sei das eine hinreichende Erklärung.
»Ich muss auch von etwas leben, Herr Caspar«, verteidigte sie sich.
»Jeder muss leben! Aber gibt es denn in Nürnberg keine anständige Arbeit mehr?«
Sie schob den Kiefer vor. Nicht für Frauen wie sie, lag ihr auf der Zunge, doch das sprach sie nicht aus. »Gibt es denn in Nürnberg kein anständiges Geld, das Ihr leihen konntet?«
Der breite Krämer Caspar glotzte sie an und räusperte sich verärgert. »Ich habe dich gewarnt, Mädchen«, sagte er grob und ließ sie stehen.
Luzinde schwieg und sah Caspar nach. Damit hatte sie die einzige freundliche christliche Seele in Nürnberg gegen sich aufgebracht.Was hätte sie sagen sollen? Dass sie mit den Juden außer der Arbeit nichts zu schaffen hatte? Sie sah zu Jakob hinunter, der voller Begeisterung auf und ab sprang und mit dem Finger auf die Versteigerung deutete, die gerade stattfand. Sie erkannte, dass diese Aussage eine Lüge gewesen wäre.
»Kennen wer biten? Bitte, kennen wer biten?«
»Das weiß ich doch nicht«, erwiderte sie brüsk. Die Worte klangen härter, als Luzinde beabsichtigt hatte, und die Fröhlichkeit des Jungen erstarb prompt. Sofort tat ihr die Grobheit leid. »Komm, wir schauen zu.«
Und so beobachteten sie gebannt, wie die riesige Rübe an einen reichen Fleischer verkauft wurde, der sie anschließend selbstzufrieden präsentierte. Danach begann die Menge auseinander zu laufen. Luzinde nutzte endlich heimlich die Gelegenheit, den Inhalt des kleinen Leinentuchs in Jakobs Nacken zu streuen. Und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Wirkung einsetzte.
»Oi – oha!« Jakob verzog das Gesicht zu einer tragikomischen Grimasse und verrenkte die Arme auf den Rücken, um an den Quell des Übels langen zu können. »Oioioi! Des juckt! Oi!« Dann erhellte sich sein Gesicht, als ihm an Luzindes schelmischem Grinsen bewusst wurde, dass sie dahintersteckte. Doch die Freude hielt nicht lange an. Sein Herumgehüpfe glich einem skurrilen Tanz. Luzinde musste bei dem Anblick laut
auflachen, wie er sich verdrehte und dabei das Gesicht verzog. Ihr Lachen war so ansteckend, dass der Bube mit einfiel, der nun gleichzeitig kratzen, jammern und kichern musste.
»Oi! Mach des weg! Mach’s weg!«, japste er dann, sich immer noch oben und unten herum am Rücken kratzend, und strauchelte hin und her. Dabei rempelte er in einen Mann hinein, der seines Weges ging, ohne nach rechts und links zu schauen.
»Vergebung, Herr«, lachte Luzinde, und eilte Jakob hinterher, um ihn mit demTüchlein den Nacken freizuwischen. »Der Bursche hat Euch nicht gesehen, weil -«, die Magd verstummte, als der Kerl sich herumdrehte. Sein Gesicht war von Ekel verzerrt.
»Lass mich in Ruhe, verfluchte Judenbande!« Unter seinen Augen lagen tiefe Ringe, ein Zahn stak schwarz aus seinem Mund hervor, über die Wange trug er eine breite Narbe, die in einer leeren Augenhöhle endete. Der lange Bart
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