Die Lichtermagd
sich ergehen. Jakob hatte jedes Recht, wütend auf sie zu sein. Heute hatte der Junge schließlich begonnen, Dinge herunterzuwerfen. Krüge mit Bier waren da beinahe eine Erleichterung gegenüber der Schüssel mit Haferbrei und dem Honigtopf, den der Bursche in der Küche vom Tisch gefegt hatte. Luzinde hatte Stunden gebraucht, um das klebrige Zeug vom Boden aufzuwischen.
Luzinde beschwerte sich nicht über die Arbeit, die der Junge ihr bereitete. Offenbar litt er noch schlimm an dem Schrecken, den ihm der Kerl auf dem Markt eingejagt hatte. Der Gedanke daran, wie ihn die Angst wohl plagen musste, auch
nur einen Schritt vor die Tür zu setzen, schnitt ihr ins Herz. Und sie durfte nicht einmal mit ihm reden, um sich bei ihm zu entschuldigen. Als sie Rebekka darauf ansprach, fauchte die bloß – »des is so weniger schlim fer ihn, als wenn de bei ihm bist, Schlimmesalnize! De bringst ihn mir noch um’s Leben!«
Also hatte Luzinde sich weiter von ihm ferngehalten. Sie wollte mit Jakob wenigstens in ein paar heimlichen Worten oder einer Nachricht Verbindung aufnehmen, doch Rebekka schien nichts anderes von ihr zu erwarten: Sie behielt ihren Sohn im Auge wie eine Harpyie. Darüber hinaus schien Jakobs Wut auf die Magd Rebekka mit grimmiger Zufriedenheit zu erfüllen. Vielleicht war das nur natürlich, nachdem Jakob Luzinde auf dem Marktplatz vor aller Öffentlichkeit so eindeutig der eigenen Mutter vorgezogen hatte – ein Verhalten, das die Magd nicht verstand. Sie hatte dem Jungen Hagebutten in den Kragen geschüttet und nicht absichtlich versucht, seine Zuneigung abzuwerben! Trotzdem verletzten sie seine blinden Wutattacken merkwürdigerweise mehr als Rebekkas offene Feindschaft – und weit mehr, als Luzinde sich anfangs eingestehen wollte.
Als die Magd schließlich das Abendbrot in die Diele brachte und die Familie sich anschickte, das Abendgebet zu sprechen, da schlug Jakob ihr wütend die Holzschüssel mit den Hühnerschmalzgraupen aus der Hand. »Ich hass dich!«, brüllte der kleine Junge dabei, und stürmte davon. Die Graupen hatten sich über die Holzdielen, den halben Tisch und Großvater Gottschalks Gewand verteilt. Schweigen fiel über den Raum, und Luzinde machte sich schnell daran, das Essen aufzuwischen. »Ich sag Rahel, dass sie neue macht«, sagte sie dann und hastete hinunter in die Küche. Dort angekommen, brach sie in Tränen aus.
»Oi, Meidel, was is denn?«, fragte Rahel und legte ihr die schwielige Linke beruhigend auf den Rücken. Doch Luzinde konnte nicht antworten. »Kom, Meidel, kom her.« Die Jüdin zog sie an ihre Brust. »Wein nur, Kind. Und dann sagste mir, was de hast, armes Ding.« Und Luzinde weinte. Sie weinte, bis ihr Kopf schmerzte und ihr die Tränen ausgingen; bis sie so müde war, dass sie nicht mehr weinen konnte. Sie wollte Rahel gerne erklären, welche Verzweiflung in ihrem Herzen wohnte – über die Freunde, die sie in Pillenreuth zurückgelassen hatte, über ihr Elend in dieser Stadt, über Jakobs Unfall, über den neu gefundenen Ort, an dem sie sich wieder geborgen fühlte und der als Heimat doch ständig bedroht war – doch alles, was sie herausbekam, war: »Jakob – Jakob hasst mich!«
»Hat er des gesagt, Meidel?« Rahel ließ sie los, um ihr einen warmen Krug Bier zu reichen. Luzinde nickte und trank.
»Und warum, meinste, hasst er dich?«
»Weil er auf dem Markt angegriffen worden ist. Weil ihm der Schrecken noch in den Gliedern sitzt! Und weil ich schuld dran bin!«
Rahel schmunzelte kopfschüttelnd. »Bist ein dummes Ding, nit?«
»Was?«, fragte Luzinde ganz verdaddert, doch die jüdische Magd ließ sich nicht beirren. »Glaub aber nit, dass der Jakob genauso dumm is.«
Zögernd nahm Luzinde noch einen Schluck vom Getränk. Das warme Bier verfehlte seine Wirkung nicht: Es heizte ihr tüchtig ein und beruhigte sie gleichzeitig. »Wie meinst du das, Rahel?«
Beinahe ungeduldig stemmte die Magd die Arme in die breiten Hüften. »Glaubst nit, dass der Kleine selbst seen kann, dass der Romer schuld is an dem Angriff, nit du?«
Luzinde starrte in den dampfenden Krug und wärmte die Finger an dem Steingut. Wenn sie sich selbst doch die Schuld gab – wie könnte der Junge das anders sehen? »Wer ist eigentlich dieser Romer?«
»Der Man auf dem Markt. Der Jakob geschlaken hat. Sein Nam is Romer. Man nent ihn den Schneider, weil er ein Handwerksschtub gehabt het.«
»Gehabt hat? Warum hat er sie nicht mehr?«
»Er hat mit seinem Foter Schulden beim
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