Die Lichtermagd
Männer langsam in den Gassen verhallten. Dann sah er sie an, und sein Blick war gleichzeitig prüfend und schwer.
»Luzinde«, sagte er, »de bist auf sunderbar Weis in mein Haus gekomen. Und ich glaub beinah, des war kein Glick, oder Zufall, wie ir sagt.«
»Was war es dann, Herr?«, fragte Luzinde besorgt. Wollte auch er ihr jetzt Vorwürfe machen?
»Ich glaub, des war Bestimmung. Adonais Wille. Ich weiß«, er hob eine Hand, um ihren Protest zu unterbinden, »das de das nit heren willst. Denk dir halt, es war der Wille deines Gottes.«
»Ich weiß nicht, Herr«, murmelte Luzinde. Es schien ihr anmaßend, dass ausgerechnet sie sich als Werkzeug Gottes betrachten sollte.
»Des is auch nit wichtik. Wichtik is aber was anderes.«
»Was denn, Herr?«
»Du musst mich auf der Fart zum Kenik Karl begleiten, Luzinde.«
Die Worte des Alten verschlugen Luzinde für einen Augenblick die Sprache. »Ich – zum König?« Sie erinnerte sich an den kurzen Augenblick auf dem Platz vor Sankt Laurentius, als sie den Herrscher unter seinem Baldachin gesehen hatte. Auch die Furcht, die für einen Wimpernschlag in seinen Augen gestanden hatte, war ihr noch gewärtig. Natürlich war auch der König des Reiches nur ein Mensch. Doch was für einen Grund sollte er haben, sie überhaupt zu empfangen?
Als sie die Frage Gottschalk stellte, wog der langsam den Kopf hin und her. »De sollst mitkommen, Luzinde, weil de ein Krischten bist. Und weil de den Hosto Stromer hast reden heren. Und de sollst mich begleiten. Ich bin ein alter Man, meine
Beine woln nit mer so, wie ich des gern hett. Ich brauch jemanden, der mir zur Hand get. Jemanden, dem ich fartrauen kan.«
Luzinde verstummte verblüfft. Er vertraute ihr so sehr, dass seine Wahl auf sie fiel? Doch jemand anderen aus seiner Familie konnte er kaum aus dem Alltag hier reißen. »Aber – das Haus … Rahel … ich -«
»De komen hier auch ohne dich klar, Kind.«
»Ja sicher, aber ich kann doch nicht einfach -« Luzinde verstummte. Was konnte sie nicht? Auf die Straße gehen, um nach Prag zu reisen? Oder konnte sie nicht mit einem Juden reisen? Was ließ sie zögern?
»Meint Ihr, der König glaubt Euch nicht?«
»Ich glaub, er hert mer auf jemanden, der des Gerede selbst gehert hat, als auf Herensagen.«
»Und Ihr glaubt, dass das, was ich gehört habe, für euch Juden hier in Nürnberg wirklich eine Bedrohung ist?«
»Der Mensch ist zu beisen Dingen fehig«, murmelte Gottschalk nachdenklich, »und ich glaub s’wird schlim enden mit den Jidenen von Nirnberg, wenn wer nit was tun. Und du kannst dabei helfen, es ze verhindern. Wenn de willst.«
Luzinde ging darauf nicht ein. »Sieht es nicht merkwürdig aus, wenn ein Jude und eine Christin zusammen auf Reisen sind?«
»Ja, das tut es«, meinte Gottschalk. »Daher musst’e als meine Großnichte reisen.«
Erst ein paar Herzschläge später begriff Luzinde, was der Alte da vorschlug. »Ich – ich soll mich als Jüdin ausgeben?« Gottschalk nickte nur.
»Aber – das geht nicht. Das nimmt mir doch niemand ab! Die Leute sehen mir doch von Ferne an, dass ich eine Christin bin!«
»So wie der Her Ulman?«, fragte Gottschalk schmunzelnd.
Luzinde errötete. Woher wusste er denn das nun wieder? »Aber ich weiß doch gar nicht, wie man sich als Jüdin verhalten muss! Das ist alles so kompliziert!«
»Aber des wissen die anderen Krischten doch auch nit, Luzinde.«
»Und ich kann Euch doch gar nicht beschützen!«
»Dafir gibt’s de Knechte.«
Luzinde hörte in sich hinein. Die Sorge um Gottschalk und um die Kinder hatte sich tief in ihrem Leib eingenistet. Außerdem lockte die Reise nach Prag. Sie – eine Schreiberstochter aus Lindelberg – vor dem König?
»Du müsstest mir beibringen, wie ich mich zu verhalten habe«, sprach sie grübelnd.
»Des tet ich, Meidel«, sagte Gottschalk schnell.
»Und ich würde keine Gebete an deinen Gott senden«, setzte sie stirnrunzelnd hinzu. Sie war sicher, dass das Vollführen eines jüdischen Ritus allein ihre Christenseele verdammen würde. Doch da sie bereits vom Gottesdienst ausgeschlossen war, hatte sie nicht mehr viel zu verlieren – oder? Würde Gott dies als letztes Zeichen dafür nehmen, dass ihre Seele unrettbar verloren war? Sie wusste es nicht. »Wann brechen wir auf?«
KAPITEL 14
Die nächsten Tage verbrachte Luzinde mit Lernen. Sie schaute Rahel und Rebekka auf die Finger, fand heraus, wie sie sich kleideten, wie sie sich bewegten, wie sie in der Öffentlichkeit mit
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