Die Lichtermagd
ich zurückkomme, und er ist nicht mehr da?«
Da brach der Bube in Tränen aus. »De komst auch wirklich zerik?«
Luzinde strich ihm unbeholfen die Rinnsale fort, die schnell die Wange hinab liefen. »Natürlich komme ich zurück. Da mach dir mal keine Sorgen.«
Also nickte Jakob mit hängenden Schultern. »Dann pass ich fer dich auf den Frosch auf.« Doch die Magd sah, dass der kleine Mann noch immer unglücklich war.
Während der nächsten beiden Tage wurde Luzinde dann doch ungeduldig.War der Aufbruch nach Prag nicht eine eilige Angelegenheit? Musste man sich nicht sputen, um den König auf die verbrecherischen Pläne der Kaufleute hier aufmerksam zu machen? Doch Gottschalk erklärte ihr, dass die verschiedensten Leute Vorbereitungen treffen müssten.
Am Vorabend von Sankt Leonardi schließlich stand Luzinde bevor, wovor sie sich am meisten fürchtete.Tag fürTag hatte sie hinausgeschoben, was doch unausweichlich war: Sie musste Ulman erklären, dass sie für eine Weile fortginge. Und sie konnte ihm noch nicht einmal ganz ehrlich sagen, wohin, denn Gottschalk hatte sich Schweigen ausbedungen. Und obwohl sie Ulman seit ihrer Begegnung auf der Kaiserburg einige Male kurz begegnet war, fühlte Luzinde, dass dieses Geheimnis sie bereits hier in Nürnberg voneinander trennte. Auch Ulman war stiller geworden, geradezu in sich gekehrt.
Am letzten Abend vor dem Aufbruch schließlich nahm Luzinde sich vor, sich zu verabschieden. Und so stahl sie sich abends zu dem mit Ulman vereinbarten Treffen hinter dem Rathaus. Das prachtvolle helle Sandsteingebäude mit den spitzbogigen Fenstern wies nach Süden, zur Pegnitz hin. Nicht zum ersten Mal stellte Luzinde fest, dass es so fein und hell wirkte, als habe man Stein und Putz gerade erst aneinandergefügt.
»Warum hier?«, fragte sie atemlos, als sie Ulman traf. Der junge Mann wartete bereits auf sie. Sie sehnte sich danach, ihn zu küssen, doch in der Öffentlichkeit wagte sie nicht, ihn auch nur zu berühren.
»Ich habe eine Überraschung für dich«, erwiderte er.
»Eine Überraschung? Ich hoffe, eine gute!«
»Ich denke schon«, gab er zurück. Doch wie schon die ganzen letzten Tage wirkte er distanziert.
»Komm«, meinte Ulman. Er schob sie durch eine Hintertür des Rathauses. Durch eine schwere und knarrende Tür hindurch ging es Stufen hinab in die Tiefe.
»Hier rein?«, fragte sie erstaunt. »Dürfen wir das denn?«
»Ich bin Ulman Stromer«, sagte er bloß. »Meiner Familie gehört das Haus fast. Während der Umbauten am Rathaus habe ich hier oft gespielt.«
Die unregelmäßig aus dem Felsen gehauene Treppe führte hinunter ins Dunkel. Luzinde hatte sich unter einer Überraschung eher etwas Verträumtes vorgestellt, nicht einen Gang in düstere und feuchte Keller. Eine blakende Fackel steckte in einer Wandhalterung. Sie meinte wie aus tiefer Ferne einen Schrei zu hören, doch sie schrieb das ihrer lebhaften Einbildungskraft zu. Sie blieb auf den letzten Stufen der Treppe stehen. »Was ist das hier?«
»Früher war das der Keller des Brothauses«, sagte Ulman und reichte ihr die Hand, um sie weiter zu geleiten. »Er ist erweitert und umgebaut worden. Heutzutage dient er als Gefängnis.«
Luzinde blieb abrupt stehen. »Gefängnis? Was für ein Gefängnis denn?«
»Die Angeklagten werden hier verwahrt, während die Vorwürfe untersucht werden.« Wieder drang ein Schrei herüber. Dieses Mal war Luzinde sicher, dass sie ihn sich nicht eingebildet hatte. »Eine Folterkammer gibt es auch. Komm!«
Doch Luzinde rührte sich nicht von der Stelle. »Warum zeigst du mir das?«
»Ich dachte vielleicht, du findest es spannend«, sagte Ulman. »Komm, ich führe dich herum.«
»Und hier hast du gespielt?« Luzinde folgte dem jungen Mann widerstrebend. Er führte sie links herum. Gleich rechts
lagen eine Schmiede und ein weiterer Raum, dann ging es ein paar Stufen hinab in eine Kammer mit Brunnen. Von einem Gangstück eine weitere Treppe hinunter drang Licht herüber.
»Manchmal«, gab Ulman zurück. »Wir haben uns hier runtergeschlichen und die Gefangenen geärgert. Nicht alle Jungen haben sich das getraut – manche haben auch wieder die Flucht ergriffen, wenn die Gefangenen geschrien haben.«
»Haben die Leute nicht schon genug Leid zu erdulden?«, fragte Luzinde. Hier unten eingesperrt zu sein, ohne Licht, kaum Luft – es stank schrecklich nach Blut, Schweiß und Fäkalien -, keine Möglichkeit, zu entkommen … Das musste wahrhaft entsetzlich sein.
»Aber
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