Die Lichtermagd
Juden und Christen umgingen. Rahel und Bel leiteten sie mit viel Spaß und Freude an. Rebekka hingegen hielt davon nichts. Doch sie schien beinahe erleichtert, dass die christliche Magd das Haus für eine Weile verlassen würde.
Der mühevollste Teil bestand im Lernen von Gesten und Segenssprüchen. Sie schreckte vor den rituellen Handlungen zurück. Sie versuchte sich einzureden, dass es ja nur hohle Gesten seien, die nichts bedeuteten. Sie sagte sich, dass ihr Glaube im Herzen stark war, dass sie nichts zu befürchten hätte. Sie hielt sich stets vor Augen, dass sie all das tun musste, um den kleinen Jakob und seine Familie zu schützen. Sie zwang sich, ihr Gewissen außer Acht zu lassen, das ihr die Frage ihrer alten Freundin Anna in Erinnerung rief: »Wo soll das nur enden mit dir, Luzinde?« Insgeheim wünschte sich die Magd, sie wüsste eine Antwort darauf.
Als sie probeweise die Augen mit den Händen bedeckt und den Segensspruch der Hausfrau für den Schabbesabend gesprochen hatte, um dann die Kerzen anzuzünden, hatte kein Blitz sie niedergestreckt. Würde sie wissen, wann sie die Grenze überschritt? Würde sie innehalten, bevor sie etwas tat, für das Gott ihr zürnen würde? Oder lag diese Grenze gar schon hinter ihr, ohne dass sie es bemerkt hatte? Dieser Gedanke erschreckte Luzinde. Als sie zum ersten Mal den Schleier mit der
blauen Borte überlegte, wusste sie, dass sie einem der fundamentalen Gesetze ihres Glaubens zuwiderhandelte. Sie leugnete Gottes Namen. Doch sie beruhigte ihr Gewissen. Und irgendwann ging sie, immerfort Chazan et ha-kol und andere Sätze murmelnd, wieder ihren Aufgaben nach und ließ sich dabei von Rahel korrigieren, sooft sie ihr begegnete.
Ob aus lauter Sentimentalität oder um sich einen Fluchtweg offen zu halten: Sie packte ihr altes braunes Überkleid ein, in dem sie Pillenreuth verlassen hatte. Bislang hatte sie es gewaschen, geflickt und in ihrer Truhe aufbewahrt. Obwohl das Gewand schon damals, als sie es erhalten hatte, von einer Begine abgelegt worden war, verband sie damit doch so viele widersprüchliche Erinnerungen, dass sie es nicht zurücklassen mochte.
Da die Reisegesellschaft deutlich mehr Leute umfassen sollte als nur Gottschalk, Luzinde und die Knechte – es war Sitte, dass man den König mit Gefolge aufsuchte, und so wollte Gottschalk nicht auftreten wie ein Bettler -, wurden Listen angefertigt, was auf der Reise alles vonnöten wäre. Das Gepäck sollte auf einem Wagen Platz haben, den Fischlein lenken würde, doch Gottschalk versprach Luzinde, dass auch sie die Zügel würde führen dürfen. »Wirst’e bereun«, setzte er augenzwinkernd hinzu. Und Luzinde packte Stoffstreifen ein, um ihre Hände gegen die Lederriemen zu schützen.
Vor der Abreise gab es jedoch noch ein weiteres Problem. Kaum hatte Jakob mitbekommen, dass Luzinde ihr Bündel für eine Reise schnürte, brach bei ihm hektische Betriebsamkeit aus. Er verschwand in seiner Kammer, grub sich für Stunden im Keller ein und wurde den restlichen Tag über nicht mehr gesehen. Am nächsten Morgen – seit dem Beschluss zum Aufbruch nach Prag waren mittlerweile fünf Tage vergangen – stand der Bube morgens mit gepacktem Bündel bereit. Er hatte
sein bestes Gewand angezogen und einen Mantel umgeschlungen. Als Luzinde ihn heimlich fragte, wo er denn hin wolle, gab er fest zurück: »Ich ge mit dir und dem Zeydel mit!«
»Aber du weißt doch gar nicht wohin?«
»Aber ir wisst des doch!«
»Ja, aber warum willst du denn mit, Jakob?«, hatte Luzinde erstaunt gefragt.
»Mame hat gesagt, de Reise wer gefehrlik. Da muss jemand auf dich achtgeben.«
Luzinde kümmerte sich nicht darum, ob Rebekka sie sah. Sie umarmte den kleinen Burschen und drückte ihn herzlich. »Mein Ritter«, murmelte sie gerührt. »Aber du kannst nicht mit. Du musst hierbleiben, bei deiner Mame, und aufpassen, dass ihr und Bel und Rahel und Rosa und Mose und all den anderen nichts geschieht.«
»Aber ich muss doch auf dich -«
Luzinde unterbrach ihn. »Du kannst nicht auf mich achtgeben, Jakob. Das macht Fischlein schon. Und viele andere Leute.« Sie dachte nach. Was würde ihn nur trösten? »Du musst doch hierbleiben, um auf unsern Frosch aufzupassen«, sagte sie dann. »Wer soll das sonst tun? Bel?«
»Ne«, machte Jakob, »Bel find den eklik.« Luzinde sah, dass dieser Gedanke in dem kleinen Kinderkopf arbeitete.
»Na siehst du«, gab sie zurück. »Du musst auf unseren Frosch aufpassen.Was soll ich denn machen, wenn
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