Die Lichtermagd
die sitzen hier doch aus einem bestimmten Grund«, erwiderte Ulman. »Sie sind schuldig.«
»Ich dachte, ihre Schuld wird noch untersucht?«
»Die meisten gestehen früher oder später«, sagte Ulman und warf ihr einen rätselhaften Blick zu. Er ging die Stufen in das Gangstück hinunter. Rechts war eine Tür, auf deren Trägerstein über dem Eingang eine schwarze Katze aufgemalt war. »Dort werden Verleumder untergebracht.« Er wies mit dem Kinn auf die nächste. Dort fand sich ein roter Hahn. »Und dort die Brandstifter.Wenn du mich fragst sollte es auch eine gesonderte Zelle für Lügner und Betrüger geben. Vielleicht mit einer gelben Schlange?« Im Halblicht der Lichtschächte in der Wand konnte Luzinde seine Augen nicht erkennen. Durch die Schatten wirkte sein Gesicht beinahe wie eine Fratze. Ein kalter Schauder fuhr ihr über den Rücken. Bildete sie sich das ein? Beeinflusste die Atmosphäre dieses Lochs sie so?
Ulman führte Luzinde weiter. Sie hatte bereits die Orientierung verloren, obwohl sie auf dem kurzen Weg nur wenige Ecken umrundet hatten. Sie kamen in eine Eckkammer, deren Boden mit Kopfsteinen gepflastert war. Ein Krug Wasser stand
auf einem kleinen Tisch, ein Hocker daneben. »Die Henkersstube. Hier werden die Verurteilten angekettet, bevor sie hingerichtet werden«, erläuterte Ulman. Sie duckten sich durch die gemauerte Tür in einen langen Gang mit Lichtschächten. Beinahe ein Dutzend Türen gingen hier ab. Eine davon stand offen. In dem Halblicht vom Gang konnte Luzinde erkennen, dass die Kammern kaum so groß wie die Fläche eines einachsigen Karrens sein konnten. Und doch schienen dem Jammern und Greinen zufolge hinter den schweren Holztüren jeweils mehrere Menschen eingesperrt zu sein. In einer leeren Zelle sah sie Holzpranger mit Löchern für Hände und Füße.Wer darin eingespannt wurde, hockte in einer Scheißrinne wie auf dem Schleifstein.
Luzinde ließ sich von Ulman durch den Gang ziehen. Jeder Schritt fiel ihr schwerer als der vorherige, denn sie war beinahe steif vor Angst. »Warum zeigst du mir das nur?«, flüsterte sie und hörte, wie schrill ihre Stimme klang. Doch er zog sie um zwei weitere Ecken bis hin zu einer Tür.
Mittlerweile zitterte Luzinde wie Espenlaub. Ulman stand hinter ihr und hatte sie mit einem Arm umfangen. Nun stieß er mit dem Fuß die Tür vor ihnen auf.
Vor Luzinde öffnete sich ein kapellenartiger Raum im Felsen. Mehrere Stufen führten in die Tiefe, so dass er höher war als breit. Er besaß gemauerte Podeste an der Wand, eine Seilwinde sowie ein Gestell aus Holzbalken. An den Wänden hingen metallische Gerätschaften und ein Feuer in einem flachen Ofen sorgte für unerträglich stickige Luft. Luzinde sah direkt auf einen Mann, der an den gebundenen Armen an der Decke aufgehängt war. Langes Haar und ein verwahrloster Bart zeigten, dass er schon lange hier unten litt. Sein Kopf baumelte schwach hin und her; überhaupt pendelte der ganze Leib sachte an dem Strick. Sein Hemd war zerrissen, der Körper darunter
zerschunden und blutig. Luzinde wollte gar nicht wissen, was man ihm alles angetan hatte – und warum.
»Hier enden Leute, die stehlen, lügen und betrügen«, zischte Ulman ihr ins Ohr. »Leute, die es nicht besser verdient haben. Leute wie du, Luzinde!«
Der Magd wurde bei seinemTonfall ganz anders. Sie war beinahe froh, dass er sie festhielt, denn die Beine drohten ihr zu versagen. Doch dann stieß er sie vorwärts, auf die Türöffnung zu. Sie konnte sich gerade noch an der Mauer abfangen und festhalten. Dann wandte sie sich um, Ulman zu. Der funkelte sie wütend an. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
»Wovon?«, fragte Luzinde schwach. Der Raum um sie herum schien zu schrumpfen, und sie fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach.
»Davon, dass du nicht Gottschalks Verwandte bist. Dass du nicht mal eine Jüdin bist! Dass du sogar ein Kind hast, und als Kebse verschrien bist!«
Luzinde schloss die Augen. Hatte Margaret geredet? Es würde zu der Frau passen. Doch eigentlich war das bedeutungslos. »Ich wollte es dir sagen«, murmelte sie. »Aber ich – ich wusste nicht wie. Und wann.«
»Es ist auch einerlei«, erwiderte Ulman in hartem Ton, doch er konnte seine Verletztheit nur schlecht vor Luzinde verbergen. »Die Vorbereitungen in Gottschalks Haus – du hast mit ihm geredet, nicht wahr?«
»Ich musste doch! Wie hätte ich ihm das verschweigen können?«
»Er bereitet sich auf eine Fahrt nach Prag vor, oder?« Luzinde
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