Die Lichtfaenger
Unschuldiger zu retten. Verzweifelt suchte er nach einem anderen Ausweg – vergeblich. Was er nun von ihr verlangen würde, war furchtbar. So furchtbar, dass er sich schon allein wegen des Gedankens bis auf den Grund seines Herzens schämte.
»Ida Teipels«, hob er behutsam an, »du sagst, die anderen sind unschuldig? Obwohl sie dich bezichtigen?«
Ihr Blick war offen und klar. »Ja! Der Kommissar hat sie so weit gebracht!«
»Würdest du das vor Gericht bestätigen?«
Die Teipels wurde weiß, begann zu zittern wie Espenlaub.
»Nein!«, rief sie. »Nein!«
Es wurde still in der Kammer. Es war ein entsetztes Schweigen, unterbrochen nur von dem Geräusch der
knarrenden Dielen draußen auf dem Gang, verursacht durch den gelangweilt auf und ab gehenden Büttel.
»Nein!«, wiederholte sie. »Nein! Sie werden mich so lange martern, bis ich sage, was sie hören wollen!«
»Ja, das werden sie! Sie werden dich peinigen, bis du den Verstand verlierst!« In der Stimme des Pfarrers war nun keine Spur einer Gefühlsregung. »Es liegt in deiner Hand! Du musst dich entscheiden! Wenn du deine Aussage nicht
zurücknimmst, wird der Kommissar nicht eher Ruhe geben, als bis sich die anderen fünf auf deine Beschuldigung hin gegenseitig bezichtigen.«
»Das kann selbst Gott nicht von mir verlangen!« Ihre Stimme überschlug sich beinahe. »Ich soll wieder in die Folter, um ausgerechnet die zu retten, die mich um mein Leben bringen?«
Stappert gab darauf keine Antwort.
»Ich werde für dich beten!«, sagte er nur leise und verließ den Raum.
8
Ein paar Tage später hatte Stappert Ida Teipels auf ihren Gang zum Scheiterhaufen begleitet. Bis zu ihrem letzten Atemzug war sie dabei geblieben, ihre Anschuldigungen gegen die fünf anderen seien falsch und erzwungen gewesen. Diese mussten freigelassen werden, aber keine war bereit, im Gegenzug ihre Aussage gegen die Teipels zurückzunehmen.
Nun hatten sie Agatha Kricks festgesetzt und hielten sie in derselben Kammer gefangen, in der schon die Teipels eingesperrt gewesen war. Unter der Folter hatte sie zugegeben, zaubern zu können und einer Reihe ihrer Mitbürger Schaden zugefügt zu haben. Am späten Vormittag war Stappert bei ihr gewesen. Sie hatte wenn auch nur zögernd Vertrauen zu ihm gefasst, ihm ihre Geschichte erzählt und immer wieder ihre Unschuld beteuert. Und er hatte auf sie eingeredet, vor Gericht die Wahrheit zu sagen.
»Lieber Herr Pastor«, hatte sie ihm zur Antwort gegeben,
»seht nur auf meine Beine! Sie brennen wie Feuer und ich könnte es nicht aushalten, wenn sich auch nur eine Fliege darauf setzen würde. Hundertmal lieber sterbe ich, als noch einmal solche Schmerzen aushalten zu müssen. Wie es da zugeht und was für unerträgliche Qualen das sind, kann sich kein Mensch vorstellen! Gott weiß, dass ich unschuldig bin, und darauf will ich leben und sterben!«
Jetzt aber standen ein paar Schöffen bei ihm im Pfarrhaus.
Kurz nach seinem Besuch waren sie zusammen mit dem Richter bei der Angeklagten gewesen.
»Ja, die Kricks! Da haben wir eine üble Unholdin erwischt.
Sie scheint ihre Untaten wirklich zu bereuen. Sie hat ihr ganzes Geständnis wiederholt und alles freiwillig nochmals bestätigt, was sie bereits unter der peinlichen Befragung ausgesagt hat!«
Stappert blickte in ihre satten, zufriedenen Gesichter, sah wortlos einem nach dem anderen in die Augen.
»Kommt mit!«, befahl er dann knapp und in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Im Flur des Gefängnisgebäudes hieß er die verdutzten Männer die Schuhe ausziehen.
»Ihr seid ganz leise und steigt möglichst geräuschlos die Treppe hoch. Dann stellt ihr euch mucksmäuschenstill im Gang auf. Die Kricks soll glauben, ich sei allein bei ihr! Achtet darauf, was sie zu mir sagt, und vergleicht es mit der Aussage vor euch!«
Oben angekommen, deutete er ihnen, sich hinter der Tür zu postieren, während der Büttel die beiden Eisenriegel zurückzog.
Erleichtert atmete die Frau auf, als sie den Priester erkannte.
»Agatha«, seine Stimme klang streng, »sind der Richter und die Schöffen bei dir gewesen?«
»Ja.«
»Und, was hast du ihnen gesagt?«
»Ich habe alles bestätigt. Darauf wollte ich leben und sterben!«
»So, so! Du hast ihnen also die Wahrheit gesagt?« Ohne Vorwarnung fing Stappert an zu brüllen. »Wenn aber das die Wahrheit ist, dann hast du mich bei meinem letzten Besuch belogen! Welche Wahrheit ist jetzt die wirkliche, die, die du mir erzählt hast, oder die, die du
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