Die Liebe am Nachmittag
ersten Kusses mit geschlossenen Augen überlegt habe, wie ich sie schnellstens wieder loswerden könnte. Kann ein Mann überhaupt gut sein? Zu den Frauen sind wir jedenfalls schlecht, gar nicht brüderlich. Ein ideales Leben hätte ich vielleicht nur dann auf die Reihe gebracht, wenn auch ich im angemessenen Alter geheiratet hätte. Wenn mir in meiner Ehefrau der Mitmensch begegnet wäre. Ich kenne die Frau überhaupt nicht. Kenne sie so wenig wie England oder Frankreich, weil ich nur in London und Paris gewesen bin, im Hotel. Nun, seit ein paar Jahren, kommt mir allmählich zu Bewusstsein, dass ich unverheiratet bin, dass ich mir den vielfach hochgeschätzten Titel eines Hagestolzes schon wie den Begräbniszylinder aufsetzen kann. Es ist, als wäre ich zuvor gar nicht bei Besinnung gewesen. Erst als ich mich den Fünfunddreißig näherte, tröpfelten diese Fragen nach und nach häufiger auf michherab: Mensch, warum heiratest du eigentlich nicht? Wollen Sie sich denn gar nicht binden, lieber Mihály? Und auch damals mochte ich die Angelegenheit noch nicht ernst nehmen; holte flugs mein Taschentuch hervor: Verflixt, dass ich das immer vergesse, warten Sie, ich mache mir einen Knoten ins Taschentuch. Für alle, mit denen ich freundschaftlich umging, Redakteure und Künstlervolk, war die Ehe eigentlich auch kein Thema. Wer geheiratet hat, den bedauerte ich, als wäre er eingekerkert worden. Und meinesgleichen? Einen, der Gedichte schreibt, habe ich, als er heiratete, mit offenem Mund bestaunt, weil er seinen Traum gegen eine blonde oder schwarze Wirklichkeit eingetauscht hat. Ich konnte meine Fantasie nicht im Zaum halten. Bin doch Künstler. Mit wem ich mich auch verbinden würde, es wäre eine Mésalliance. Ich kann wählerischer sein als ein König, bin freier und von höherem Rang. Wer sollte denn dieses einzige Mädchen sein, mit dem ich mich auf dieser Welt zufriedengeben würde? Ich träumte von mondbeschienenen Maeterlinck-Geschöpfen. Von Célisette und Joyzelle. Ich Eselskopf, saudummer! Welches zarte, reiche Geschöpf sich mir auch antrug, ich schüttelte nur den Kopf, nein und nochmals nein, ich kann meinen Gott nicht beschwindeln. Nicht ohne die ganz große Liebe. Und ich fühlte den vorwurfsvollen Blick aller Armen dieser Welt auf mir ruhen, wenn ich auch einen Augenblick lang mit dem Gedanken spielte, dieses Ixypsilon-Irmchen zu heiraten. Gelegentlich träumte ich von einem wilden, lieben Geschöpf, einem Bauernmädchen, einem Zigeunerkind, das ich draußen in der Puszta finden, für mich zurechtformen und heiraten würde. Aber es hat lange gedauert, bis ich wahrnahm, dass ich endgültig lebe, als Mensch zu gelten und mich in dieser Welt einzurichten habe wie in einer Mietwohnung. Seit ich vierzig bin, sehe ich mich allenthalben nach einer um, die man heiraten könnte. Doch keine will mir unter die Augen kommen, für die ich mich angesichts der Umstände,unter denen ich lebe, guten Gewissens entscheiden könnte, mit der zu leben uns beiden Freude und Medizin sein würde. Und das Problem wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Ein Herr macht mir damit Mut,dass ich mir bis fünfzig keinerlei Sorgen zu machen brauche und noch ohne Weiteres heiraten könnte. Ohne Weiteres? Ich glaube ihm das so gern. Aber du musst vernünftig bleiben, dir nicht etwa ein junges Mädchen nehmen. Nein, nein, verehrter Freund, ich werde keine Dummheit begehen.
Ein Zeitungsverkäufer reißt mich aus meiner Verlorenheit; ein Dutzend Exemplare der Abendausgabe sind ihm unterm Arm geblieben, er unternimmt noch einen letzten Sturm aufs Trottoir, bevor er heimgeht, um seine Kehle auszuruhen.
Ein Mann und eine Frau kommen mir auf der Straße entgegen; er mit einem riesigen Bündel auf dem Rücken, mit der Rechten ein kleines Mädchen an seinen Hals gedrückt. Die Kleine schläft; ihre Ärmchen baumeln wie leblos von der Schulter des Vaters. Die Frau trägt eine mit Bindfaden verschnürte pralle Basttasche am Arm; vermutlich die Habseligkeiten der Familie; mit ihrer Linken hält sie den Fuß der schlafenden Kleinen. Ich drehe mich nach ihnen um. Sie gehen in Richtung Westbahnhof, wahrscheinlich zu der Ecke Waizener Straße, von wo die Wägen C und L abfahren. Dieses Pärchen, klein gewachsen und schwach, muss von seiner Muskelkraft leben. Beide atmen mit offenem Mund, als ich zu ihnen hinsehe. Wie sie sich beeilen, als wären sie auf der Flucht, in ihrer Namenlosigkeit, mit der schweren Last und ihrem schweren Los, hetzen, stumm,
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