Die Liebe am Nachmittag
konnten sie bislang nicht einmal die Hälfte der Verbindlichkeiten bei den Advokaten tilgen.
Im letzten Monat bekam ich einen Brief aus einer englischen Grafschaft, bin dem Gentleman eingefallen, mit dem ich mich vor zwölf Jahren in Florenz angefreundet habe. Ich wohnte damals im Hotel der Engländer, am Nachbartisch nahm dieser große blonde Herr mit den Kinderaugen seineMahlzeiten ein, allein wie ich. Eines Nachmittags schlenderte ich gerade aus den Sälen des Pitti, da kam er mir plötzlich entgegen, blieb stehen, reichte mir die Hand: how do you do? Natürlich kannten wir uns nicht. Der Engländer ist Grundbesitzer; im Krieg hat er es bis zum Major gebracht. Am folgenden Tag und noch weitere zehn Tage speisten wir am selben Tisch. Seinen vierjährigen Kriegsdienst fasste er für mich in drei Worten zusammen: I killed myself. Er gestand, dass er sich für immer mit sich selbst überworfen habe, weil er diesen Dienst mit der Waffe geleistet hatte. Jener Gentleman lud mich auf seine Besitzungen ein, in sein Herrenhaus aus dem sechzehnten Jahrhundert. Engländer nehmen solche Versprechen ernst. Drei Jahre lang schrieb mir der Gentleman, zu fünf Weihnachtsfesten schickte er X-mas-Karten, danach gab er mich auf. Nun hat er mich wiederentdeckt, nach sieben Jahren Pause, ich solle doch kommen, wenn ich noch am Leben wäre; er habe inzwischen geheiratet und möchte mir sein Glück vorführen, nachdem er mich auch mit seinem Unglück konfrontiert hätte.
Wenn ich diesem schwerreichen Mann beispielsweise statt einer Lüge schreiben würde, er solle mir hundert Pfund schicken, damit ich meine Mutter wieder instandsetzen lassen kann.
Im nächsten Leben werde ich es tun. Wenn ich noch einmal auf die Welt komme, nehme ich den Solitär vom Tisch, bevor ihn sich die 5Fleurs an ihren Finger steckt: den Ring werde ich meiner Mutter geben, damit mache ich doch auch Ihnen eine Freude, nicht wahr?
Der Mensch hat ja nur so wenige Mütter. Alles in allem eine.
Wie sehr müsste man doch darauf achten, dass man sie lange hat!
Also ich laufe mir die Hacken ab, gehe zu Wucherern, zu allerlei Sozialeinrichtungen und Direktionen; doch ohneVorauszahlung bringt man heute nirgendwo einen Kranken unter.
Ich stecke voller Sorgen und Selbstvorwürfe. Warum ich nicht gelernt habe, Operetten zu schreiben, als ich noch jung genug war. Oder warum ich die vermögenden Mädchen nicht ehelichte, die mir seinerzeit angetragen wurden, warum ich ein so heiliger Dummkopf war.
Jetzt bin ich nicht in der Stimmung, Iboly von ihrer Jungfernschaft zu erlösen. Obwohl es ja genauso normal wäre,mich damit aus diesem Kummer, aus der Trostlosigkeit in diese frische Liebschaft zu retten wie andere zum Alkohol greifen. Aber ich habe nicht den Magen dazu, was soll ich tun.
Wieder kriegt mich das arme Mädchen kaum zu sehen. An manchen Abenden aber erbarme ich mich ihrer, doch fröhlich sind wir dann nicht. Ich habe Iboly gesagt, woran es liegt. Auch der Dame musste ich sagen, was mit meiner Mutter ist, warum mir also der Sinn nicht nach ihren Besuchen steht. Fast zehn Tage habe ich sie ferngehalten, dann beruhigte ich die 5Fleurs wieder: Der Mutter geht es gut.
Auch Ibolyas Vater ist ja leidend; erst im letzten Monat überlegte ich, dass ich etwas für ihn tun müsste. Der Vater solle mir die Diagnose seiner Krankheit aufschreiben, sagte ich zu Iboly: Dann bin ich damit zu einem namhaften Chirurgen gegangen; der Professor gestattete, dass man den Papa auf seiner Station aufnahm, kostenlos, zu Studienzwecken für seine Ärzte.
Ibolys Vater ist also versorgt; aber ich habe noch viele andere, alles Kundschaften, die mich viel Zeit kosten.
Für einen verarmten Maler bettele ich bei Redakteuren und Verlagen, man möge ihn Ornamentzeichnungen für die Sonntagsbeilage anfertigen oder Bucheinbände entwerfen lassen.
Ich kenne einen Drucker, seit Jahren ohne Stellung; umsonst habe ich mich mal hier, mal dort für ihn eingesetzt; vonder Anstellung in einer Druckerei träumt er gar nicht mehr, er würde auch als Parkwächter gehen, als Badewärter im Dampf- oder Freibad, selbst als Billeteur im Theater, im Kino oder als was auch immer. Von Zeit zu Zeit meldet er sich mit einer Postkarte bei mir: Hat sich etwas ergeben? Noch immer nichts?
Ein Grafiker ist aus Paris zurückgekommen, dort bekommt er als Ausländer keine Arbeit mehr. Ich laufe für ihn zu den Druckereien, doch dort holen die Herren die von der Grafiker-Gewerkschaft erstellte Statistik aus der
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