Die Liebe am Nachmittag

Titel: Die Liebe am Nachmittag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erno Szep

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vergangen ist, unfassbar, dass ich den Kopf hebe und sie, die eben noch da war, steht nicht vor mir, dass ich den Mund nicht öffnen und sie ansprechen, mir ihre Stimme nur mehr vorstellen kann. Es wäre ein Wunder, wenn man den Arm ausstrecken und jemand anfassen könnte, den man sich herbeifantasiert; ich empfinde es in dieser Minute als ein Wunder, dass ich Iboly, die doch hier stand, nicht an der Hand nehmen und an mich ziehen kann, dass es so still ist in diesemZimmer, dass Iboly schweigt und immer weiter schweigen und fern sein wird; dass diese Wirklichkeit so real ist, so folgerichtig, dass dies eine so heilige Schrift im Leben ist: Was vergangen ist, das bleibt Vergangenheit und kehrt auch nicht zum Spaß zurück, nicht einmal für einen kurzen Augenblick.
    Mitte März gibt es dann die große Neuigkeit!
    Eines Abends, als ich auf Iboly wartete und mich hinter dem Theater herumdrückte, da stürzte sie sich so ungestüm und ungebremst auf mich, als wollte sie mich über den Haufen rennen, sie umarmte mich und sagte, als wäre ich ihr verloren gegangen, dass sie nicht mehr daran geglaubt hätte, mich wiederzufinden:
    »Nein«, sagte sie, »was für eine Neuigkeit ich für Sie habe, Sie werden es nicht glauben! Ich bin verrückt vor Glück!«
    »Schrei nicht so laut und lass bitte meinen Hals los.«
    »Ich bekomme die Hauptrolle in der Prüfungsvorstellung! Ich schwöre, dass ich davon nicht einmal zu träumen gewagt habe! In der Pause, um fünf Uhr, hat mich der Professor Tatai, der Goldige, zu sich hineingewunken, er suchte direkt nach mir auf dem Korridor, komm einmal her, Mädchen, und nicht erschrecken, ich habe mir überlegt, dass ich dir die große Rolle in der diesjährigen Prüfungsaufführung geben werde; wir wollen die
Kirchenmaus
spielen, traust du dir die Zsuzsi zu? Es wird ein hartes Stück Arbeit für dich, ich schlag dich tot, wenn du mir Schande machst. Und vorläufig Mund halten, Kleine, nicht gleich alles ausposaunen. Ich habe es dir so früh gesagt, damit du dir umgehend das Stück besorgen und mit dem Rollenstudium anfangen kannst; na, was soll denn das! Gleich setzt es eine Backpfeife!«
    Denn,so sagte Iboly,sie habe keine Antwort herausgebracht, außer: oh Gott!, sich dann auf die Zehenspitzen gestellt und angefangen, Tatai, ihren Lehrer, diesen Erzengel, abzuküssen; dabei verschmierte sie ihm mit dem Rot des Lippenstifts die Wange und seinen weißen, steifen Kragen; die Mädchen, diegerade in der Nähe waren, dachten, Iboly habe den Verstand verloren.
    Auch jetzt hüpfte sie, bis wir draußen auf den Ring kamen, ausgelassen neben mir in die Höh; nein, Gott, wie wunderbar! Und sie wieherte noch ein paar Mal zu den matten Märzsternen hinauf, damit auch sie es merkten, drängte mich an eine Wand und stupste mit der Nase an mein Ohr, meinen Hals, biss und zerrte am Stoff meines Mantels.
    Aber es ist ja auch wirklich kein Pappenstiel. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass Iboly eine solche Auszeichnung zuteilwerden könnte. Es ist ihr letztes Jahr in der Schauspielschule; an ihre Zukunft habe ich bislang noch keinen Gedanken verschwendet; für mich ist dieses Mädchen ja auch eher eine süße Annehmlichkeit, so wie für die jungen Burschen und die Herren; stellte ich mir einmal, wenn wir uns gegenübersaßen, eine Minute lang vor, was mit Iboly im nächsten Jahr, in zwei Jahren sein würde, so sah ich sie nicht anders als alle diese Mädchen, die die Schule in großer Zahl ins Leben hinausgespuckt hat, die bei irgendeinem Theater herumlungern, mal hier und mal da in Rollen von fünf Sätzen auftreten; vielleicht auch in der Provinz eine Chance bekommen, und man hört dann nie wieder von ihnen.
    Während des Abendessens, diesmal wieder im Restaurant am Westbahnhof, hatten wir natürlich kein anderes Thema als die
Kirchenmaus
, also ihre Hauptrolle.
    Huch, wie die alle schauen werden, wenn sie erfahren, dass Professor Tatai der Iboly die Zsuzsi gegeben hat! Sie hätte nicht einmal gewagt, an die Oly zu denken.
    Wer ist das?
    »Die Oly ist doch diese kleine Stenotypistinnen-Rolle; nur in ein paar Szenen, aber doch eine ganz hübsche Sache, man kann etwas daraus machen.«
    Sie kann es nicht fassen, wie der Herr Professor Tatai darauf gekommen ist, gerade ihr die Zsuzsi zu geben, diese bombigsteRolle,die man sich als jugendliche Naive nur wünschen kann.
    Hat dieser Tatai etwa zufällig ein Auge auf dich geworfen?
    »Ach, wo denken Sie hin! Der ist doch schon ein alter Herr, für