Die Liebe atmen lassen
eingebettet in die Anforderungen des alltäglichen Lebens und überwölbt von einer Dimension darüber hinaus. Über den Sex hinaus bürgt die Erotik dafür, auch die seelische, geistige und transzendente Ebene des Menschseins zu erschließen. Im Unterschied zur körperlichen Befriedigung im Moment sorgt die Erfahrung mehrerer oder aller Ebenen der Liebe erst für eine Seinsbefriedigung , eine Erfüllung des gesamten Seins des Menschen, vereinzelt in Ausnahmeerfahrungen, regelmäßig in länger währenden Beziehungen der Vertrautheit und Geborgenheit. Je mehr Individuen diese erweiterte Form von Liebe zu leben versuchen, desto mehr kann dies zum Entstehen einer anderen Kultur beitragen.
Gefühl und Berührung:
Die seelische Kunst des Liebens
Geht es um mehr als eine Nacht, kommen Gefühle ins Spiel, und sie können, unabhängig von der körperlichen Ebene derLiebe, auch eine Welt für sich bilden. Zwar ist ihnen eine körperliche Seite eigen, messbar in Hormonschwankungen, aber ihre Grundlage ist, wie beim gesamten körperlichen Geschehen, eine energetische . Der Körper in seiner Stofflichkeit und die transstofflichen Gefühle bedürfen einer Energie , die »am Werk« ist ( energeia im Griechischen), um sie aufleben zu lassen und zu »beseelen« Den Begriff »Energie« dafür einzusetzen, kann umstritten sein, aber es ist schwer, einen besseren Begriff für das zu finden, was in Frage steht, nämlich dass alle Materie, belebt oder unbelebt, aus etwas und nicht aus nichts hervorgeht und dorthin zurückkehrt. Das energetische Geschehen erfüllt jedoch einen Raum, von dessen Existenz nicht alle überzeugt sind und dessen Wahrheit nicht so ohne Weiteres behauptet werden kann: Daher soll es hier nur um eine Deutung gehen, für deren Plausibilität am ehesten spricht, dass nicht gut auf sie verzichtet werden kann, wenn es darum geht, das Phänomen des Lebens besser zu verstehen.
Das eigentliche Sein des Menschen könnte im Potenzial dieser Energie zu finden sein, das erst in der Aktualisierung wirklich wird und ins körperliche Dasein übergeht, aber nicht darin aufgeht. Das Potenzial gehört der Seinsebene der Möglichkeiten zu, auch wenn es in die Seinsebene der Wirklichkeit hineinragt. Vielleicht sind es Verdichtungen von Energiefeldern, die zu körperlichen Materialisierungen führen, mit einer gerichteten Energie voller Spannung, einer Kraft , die Teilchen zu Atomen und diese zu Molekülen fügt. Auch Gefühle gehen dann nicht mehr darin auf, nur Moleküle zu sein, vielmehr liegt ihnen eine Kraft zugrunde, die diese erst entstehen lässt. Hat die körperliche Seite der Gefühle mit Chemie zu tun, so die energetische eher mit Physik , mit Bewegungen einer Energie, die kaum zu fassen ist. Den Energieformen derPhysik wie etwa Strahlungsenergie, magnetische Energie, Bindungs- und Schwingungsenergie, elektrische und thermische Energie ähneln menschliche Erfahrungen der Energie in Form von Ausstrahlung, Anziehung, Bindung, Schwingung, überspringenden Funken und entstehender Wärme, ja, Hitze, und doch müssen diese Energien nicht mit physikalischen identisch sein.
In vielen Kulturen werden die fraglichen Energien traditionell Seele genannt und als Atem des Lebens und Wohnsitz der Lebenskraft verstanden, wie schon die griechische psyche , nicht zu verwechseln mit der modernen »Psyche«, die zum Inbegriff für das Regelwerk des Funktionierens neuronaler Zusammenhänge geworden ist. Der Seele werden Deutungen gerecht, der Psyche eher Messungen, aber es handelt sich wohl um die energetischen und materiellen Aspekte ein und desselben Phänomens. Mit Deutungen und Messdaten wird versucht, die wenig fassbaren, weitgehend dem Bewusstsein entzogenen seelischen und psychischen Zusammenhänge zu erfassen und bewusst zu machen; beide Methoden finden sich im weiten Feld der Psychologie und kennzeichnen ihre innere Polarität zwischen Geistes- und Naturwissenschaft.
Im Unterschied zum Körper, dessen Konturen räumlich und zeitlich klar umgrenzt sind (wenngleich das andere Ende der Zeit unklar bleibt bis zum letzten Tag), ist die Seele eine wolkige Erscheinung, ein sphärenhaftes Gebilde ohne klare Abgrenzung. Räumlich hat sie einen Bezugspunkt im Raum des Körpers, kann sich gänzlich in ihn zurückziehen und geradezu in ihm verbergen, ihn in beliebigem Maß jedoch auch überschreiten, kenntlich an ihrer möglichen Ausstrahlung weit über den körperlichen Bewegungsradius hinaus. Auch zeitlich scheint die diffuse Gestalt der
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