Die Liebe atmen lassen
äußerliche Behandlung wird zur innerlichen, die Physiotherapie in ihren verschiedensten Ausformungen zu einer zusätzlichen Form von Psychotherapie.
Aus guten Gründen ist die Berührung ein wesentliches Element der seelischen Kunst des Liebens und einer Kunst der Erotik auf dieser Ebene, denn die Anregung und Erregung, die sie vermittelt, kann den, der berührt wird, »elektrisieren« und lässt ihn spüren, dass er bejaht wird: Berührung macht schön . Der Hunger danach kann auch der eigentliche Anlass zum Sex sein und wird doch durch den Akt, der auf das Geschlecht allein fixiert bleibt, nicht recht gestillt. Wenn aber die körperliche Berührung seelische Energien aktiviert, wird aus der Arbeit am Körper eine Beseelung des Fleisches, eine Inkarnation im anderen Sinne, bei der die Energie den Körper durchströmt und das Selbst vollkommen »bei sich ist«. Ohne Berührung droht die Entseelung, die Exkarnation , bei der die Energie sich vom Körper löst, nicht etwa erst am Ende des Lebens, sondern schon zu Lebzeiten, in einzelnen Momenten und ganzen Lebensphasen, in denen der Betroffene »neben sich steht« und sich wie von außen wahrnimmt, eine extrakorporale Erfahrung, denn nicht immer ist die Seele dort, wo der Körper ist.
So groß ist die Bedeutung der Berührung, dass sie geradezu als anthropologisch bezeichnet werden kann: Das Menschsein hängt davon ab, Berührung zu erfahren, zu jeder Zeit und in jeder Kultur. Derjenige, der niemanden und nichts berührt und selbst auch nicht berührt wird, wird seiner selbst von Grund auf unsicher und weiß nicht mehr recht, wer er ist. Die Berührung ist eine Art von Aufmerksamkeit, die nur um den Preis entbehrt werden kann, körperlich zu verwelken und seelisch auszutrocknen; diese Erfahrung ist tief im Leben eines jeden Menschen verankert: Wenn ich berühre und berührt werde, sinnlich, seelisch, geistig und vielleicht auch transzendent, lebe ich und spüre ich, dass ich lebe. Erreicht meine Berührung niemanden mehr und werde ich selbst von nichts und niemandem mehr berührt, lebe ich nicht und spüre auch das Leben nicht mehr; der weite Raum der Seele geht verloren.
In Analogie zum »Ich denke, also bin ich« ( cogito ergo sum ), mit dem René Descartes im 17. Jahrhundert auf Distanz zur sinnlichen und gefühlten Berührung ging und den modernen Kognitivismus begründete, lässt sich diese Bedeutung so zum Ausdruck bringen: »Ich berühre, ich werde berührt, also bin ich« ( tango tangor ergo sum ). Im Unterschied zum Cogito, bei dem vom Denken des Ichs allein, nicht auch von seinem Gedacht werden die Rede ist, kommt bei der Berührung von vornherein das Berührt werden ins Spiel, somit der Andere und das Andere, von dem das Ich berührt wird. Das verkleinert keineswegs die Rolle des Denkens: Die mögliche Berührung, vor allem diejenige zwischen den Liebenden, ist nicht nur eine körperliche und seelische, sondern auch eine geistige. So machtvoll nimmt das Denken Einfluss auf den körperlichen und seelischen Umgang miteinander, dass die Ebene noch ein weiteres Mal zu wechseln ist: Innerhalb des Seelenraumsvon der Ebene des Fühlens zur geistigen Ebene, wie sie in Gesprächen, im gemeinsamen Denken und Deuten erfahrbar wird.
Gespräch und Deutung:
Die geistige Kunst des Liebens
Das Geistige, verstanden als Denken und Deuten , teilt mit dem Seelischen die körperliche Grundlage, die Neuronen und ihre Vernetzung, die nun vor allem im »neokortikalen« Gehirn, in der entwicklungsgeschichtlich jüngsten Großhirnrinde, Sprache und Abstraktion, Wille und kluge Überlegung ermöglichen. So wie der geometrische Raum von körperlicher Bewegung erschlossen und durchmessen wird, der Seelenraum von der Bewegung der Gefühle, so der geistige Raum von der Bewegung der Gedanken, der Deutungen und deren Verfestigung in Begriffen. Auch das Geistige speist sich aus der unerschöpflichen Energie des potenziell unendlichen Seelenraums, die, jedenfalls dieser Deutung zufolge, nicht nur in Gefühlen, sondern auch in Gedanken zum Vorschein kommt, beide in ständiger Wechselwirkung miteinander: Gefühle färben Gedanken ein, beflügeln sie mit einem »guten Gefühl« oder bedrängen sie mit einem »unguten«, bestärken sie mit Mut oder lähmen sie mit Ängsten. Gedanken färben ihrerseits Gefühle ein, bewerten sie als willkommen oder hinderlich, lassen sie gewähren oder drängen auf ihre Zurückhaltung.
Wenngleich dasselbe Energiefeld Gefühle und Gedanken hervorbringt,
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