Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
Vom Netzwerk:
bedarf der Andere, um mehr Intimität zu erfahren, oder welcher Distanz, um in der Umarmung nicht zu ersticken? Was ist Liebe »eigentlich«? Warum gibt es sie und wozu? Wäre sie auch verzichtbar? Warum verursacht sie, die so viel Lust in sich birgt, so viel Schmerz? Wäre der Schmerz nicht eliminierbar, um die Lust allein übrig zu behalten? Welche andere Idee von Liebe erscheint noch möglich, und wie wäre sie zu verwirklichen?
    Wechselseitige Kenntnisse und Deutungen sind die Grundlage für die weitergehende Definition des Paarseins , mit der die Liebenden parallel zur jeweiligen Selbstdefinition den gemeinsamen Kern für das Leben zu zweit festlegen, ihr »Wir«, anhand dieser Fragen:
    1. Was sind für uns beide die wichtigsten Beziehungen , etwa zu Kindern, Geschwistern, Eltern, Großeltern, Freunden und Anderen?
    2. Was sind unsere gemeinsamen Erfahrungen , die fester Bestandteil der Beziehung sind und bleiben sollen?
    3. Was sind unsere gemeinsamen Ideen und Träume, was ist unser Glaube, unser besonderer Weg und vielleicht unser Ziel, unsere Sehnsucht, aus der die Beziehung fast allein bestehen kann?
    4. Was sind unsere gemeinsamen Werte , die wir besondershochschätzen, welche sollen im Zweifelsfall Vorrang haben und welche auch noch im Konfliktfall gelten?
    5. Was sind bei allen Gegensätzen unsere gemeinsamen Charakterzüge und Gewohnheiten, die wir sorgsam pflegen wollen?
    6. Was sind unsere gemeinsamen Ängste , Verletzungen und traumatischen Erfahrungen, mit denen wir irgendwie zurechtkommen müssen?
    7. Was ist im Gegenzug das gemeinsame Schöne , an dem wir unser Zusammenleben orientieren können, das Bejahenswerte, das alles Trennende überstrahlt und aus dem immer neue Kräfte zu schöpfen sind, mit deren Hilfe sich auch alles Negative wieder ausbalancieren lässt?
    Jeder dieser Punkte ist grundsätzlich veränderbar, aber der Verzicht auf ständige Veränderung sorgt erst für die Stabilität, die die Beziehung braucht. Der definierte Kern lässt sich ergänzen um eine weniger definierte, fluktuierende Peripherie , in der sehr viel Flexibilität möglich ist, vieles ausprobiert werden kann und Begegnungen, Erfahrungen, Gefühle und Gedanken ständig kommen und gehen können.
    Deutungen und Definitionen des Selbstseins und Paarseins geschehen nicht abstrakt anhand des Abhakens von Punkten, sie sind vielmehr eingebettet in die Erzählung der Geschichte des eigenen und gemeinsamen Lebens. Die Erzählung stellt narrativen Sinn her, sie sorgt für den roten Faden der Kontinuität in der Zeit und reiht Erfahrungen und Überlegungen so aneinander, dass dies für das jeweilige Selbst und das Paar »stimmt«. Nur dort, wo nichts mehr erzählt wird, entsteht ein Vakuum an Sinnlosigkeit, in dem der Einzelne und seine Beziehung letztlich verschwinden. Die Erzählung soll nachvollziehbar sein: Daher die Reduktion derKomplexität des Erlebten, um die für wesentlich gehaltenen Punkte in eine überzeugende Abfolge zu bringen. Die Erzählung soll spannend sein: Daher der Hang zur Dramatisierung, um das Erlebte mit einem großen Spannungsbogen aufzuwerten. Die Erzählung soll nie enden : Daher wird sie stets etwas variiert, und schon morgen, wenn sie wieder erzählt wird, ist es nicht genau dieselbe Geschichte. Die Erzählung soll festgehalten werden können: Daher ihre Symbolisierung in Dingen, einem Ring, einem Song, einem Stück Stoff, einem Datum, die die Geschichte des Lebens und der Beziehung repräsentieren und auch in der Absenz des Anderen dessen Präsenz garantieren. Die Erzählung handelt vom Warum und Woher der Beziehung, dem kausalen Sinn, der die Liebenden im unentwirrbaren Spiel von Zufall und Notwendigkeit zusammengeführt hat. Und sie handelt vom Wozu und Wohin der Beziehung, ihrem teleologischen Sinn: Zu welchem Zweck sind wir zusammen, wohin wollen wir, oder soll der gemeinsame Weg auch schon das Ziel sein? Teleologischer Sinn ist darin zu finden, füreinander und für Andere da zu sein, gemeinsam eine Aufgabe zu übernehmen, eine Verantwortung wahrzunehmen, eine Pflicht zu erfüllen, sich in eine Notwendigkeit zu schicken, etwa den jeweils Anderen unmöglich allein lassen zu können, oder aus Freiheit das Leben miteinander zu teilen und sich durch die verschiedensten Phasen des Lebens und der Liebe hindurch gemeinsam weiterzuentwickeln.
    Und nicht nur das eigene und gemeinsame, sondern auch das »sonstige Leben« beschäftigt die Liebenden: Im Austausch und in der Auseinandersetzung

Weitere Kostenlose Bücher