Die Liebe atmen lassen
sich rächen. Ebenso mächtig wie verhängnisvoll wirkt das Denken auf Gefühle ein: Mit der bewussten Energie des Geistes beeinflusst es die unbewusste Energie der Seele und versucht sie zu lenken. Mit Gedanken und Deutungen gelingt es, den Austausch von Energien und damit das Lebensgefühl zu intensivieren, Ängste zurückzudrängen und mehr Offenheit zu riskieren, aber es können auch Ängste geweckt werden, für die es keinen Anlass gibt. Und wenn die Gefühle mit der Kraft des Denkens verdrängt werden, kehren sie irgendwann mit einer Wucht zurück, die keinen klaren Gedanken mehr zu fassen erlaubt. Die Zuwendung und Zuneigung in Gedanken ist mächtig genug, eigene Gefühle und die des Anderen anzuregen, aber ebenso geht die gedankliche Abwendung und Abneigung der gefühlten voraus. Ein einziger Gedanke, eine Deutung, ausgesprochen oder nicht, kann das Energiefeld zwischen zweien dermaßen ionisieren, dass positive oder negative Gefühle mit innerem Körpersinn augenblicklich spürbar werden. So weit geht diese Macht, dass die gedanklich fabrizierte Sichtweise des Selbst auf sich, auf Andere, auf Beziehungen, auf Leben und Welt selbst schonals Wirklichkeit erscheint. Aber immer bleibt etwas offen, das sich nicht denken lässt und worauf das Selbst erst aufmerksam wird, wenn es auf Umwegen der Erfahrung doch noch auf das Andere stößt, das nicht denkbar war und sich dennoch als wirklich erweist.
Um die Wünsche und Machtansprüche des Denkens und Deutens in Grenzen zu halten, bedarf die geistige Ebene, wie schon die körperliche und seelische, einer eigenen Asketik . Sie ist gebunden an die Möglichkeit eines Metadenkens , mit dem das denkende Selbst sein eigenes Denken freigibt, es auch wieder zurückruft, um etwa der Sinnlichkeit des Körpers und den Gefühlen der Seele Raum zu geben, aus der Einsicht heraus, dass die Sinneseindrücke mehr Aspekte einer Wirklichkeit erfassen können als das Denken allein und dass die Gefühle zuverlässiger anzeigen können, wie es um die Energien des Selbst und Anderer steht, wo sie fließen oder stocken, wo sie einer Bestärkung oder Begrenzung durch das Denken bedürfen. Um die Gefahren von Wunschdenken und Wunschdeutungen einzudämmen, bedarf es außerdem eines Wissens um das allgegenwärtige Problem des hermeneutischen Zirkels , der entsteht, wenn in Andere, in Beziehungen und Dinge etwas hineininterpretiert wird, was dann scheinbar neutral aus ihnen herausgelesen wird, aber nicht notwendigerweise in ihnen enthalten ist. Sinnvoll wäre, das Spiel der Deutungen wenigstens sporadisch einer Prüfung der Plausibilität zu unterziehen und grundsätzlich von einem Prinzip der hermeneutischen Fülle auszugehen: Nie gelangen die möglichen Deutungen an ein Ende, immer sind weitere Fragen zu stellen und andere Aspekte der Wahrheit zu erschließen, neue Zusammenhänge zu sehen und auch herzustellen. Keiner kennt vollständig die Welt, erst recht nicht die des Anderen, auch er selbst nicht:Von dieser Annahme auszugehen, lässt den Gesprächsfaden nie abreißen.
Es sollen »gute Gespräche« sein. Der Maßstab dafür ist das Verständnis , das einer beim Anderen findet. Eine unverzichtbare Voraussetzung dafür ist, sich wechselseitig verständlich zu machen: Die Gespräche leben von der Rhetorik, der Kunst des Redens , der beiderseitigen Einübung in den möglichst gekonnten Ausdruck von Gefühlen und Gedanken, verbal und nonverbal. Die Art und Weise, dem jeweils Anderen mit Worten und Begriffen, mit Mimik, Gestik und Stimmlage gegenüberzutreten, wirkt auf ihn, gefällt ihm oder stört ihn. Der Klang der Stimme kann die Distanz zu ihm überbrücken oder vertiefen, Zuwendung oder Abwendung erkennen lassen, Präsenz oder Absenz vermitteln, und es käme darauf an, im langen Prozess der Erfahrung die Variabilität der eigenen Stimme besser kennen zu lernen, sie als Instrument zu begreifen, das gestimmt und auf markante Weise gespielt werden kann. Und nicht nur die Stimme, sondern alles an einem Menschen spricht, sodass die Frage wichtig wird: Wie wirke ich insgesamt auf den Anderen? Was sagt mein Körper, meine Haltung, meine Kleidung? Was nehme ich umgekehrt am Anderen wahr, und wie wirkt er auf mich?
Die äußeren Eindrücke legen die Vorzeichen dafür fest, wie etwas verstanden werden kann, und erst dann, wenn das Wie für Öffnung sorgt, kann sich alle Aufmerksamkeit auf das Was richten, auf das also, was eigentlich vermittelt werden soll. Mit dem Wie die Aufmerksamkeit auf das
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