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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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und Festlegungen Eingang finden, die in der jeweiligen Kultur im Laufe der Zeit ausgearbeitet worden sind. In der Gegenwart wird als Liebe vorgefunden, was in der Geschichte als solche gedeutet und begriffen worden ist. Ebenfalls in der Gegenwart werden jedoch künftige Deutungen und Begriffe vorbereitet: Jede Rede von »der Liebe« sollte sich daher ihrer Fragwürdigkeit bewusst sein und sich für andere Ideen und Begriffsbildungen offen halten.
    Dies vorausgesetzt, kann eine Idee formuliert und eine Begriffsbildung versucht werden, die in ihrer Allgemeinheit viel Platz für Festlegungen im Einzelnen lässt und den Boden für reichhaltige Erfahrungen bereitet. Als Liebe erscheint demnach eine Beziehung von und zu , von etwas oder jemandem zu etwas oder jemandem, von einem Ausgangszu einemZielpunkt, und auch im Raum zwischen den Punkten muss etwas sein, das in irgendeiner Weise mehr ist als nichts, und dies nicht nur für einen Moment. Momentan handelt es sich vielleicht nur um einen Kontakt, zufällig oder zielgerichtet, etwa einen Blickkontakt, der nicht notwendigerweise schon eine Beziehung zur Folge haben muss; aber wiederholte und anhaltende Kontakte begründen und befestigen eine Beziehung.
    Das entscheidende Etwas liegt im ausgeprägten Zu , wie es für eine Zuwendung und Zuneigung charakteristisch ist, sodass sich genauer definieren lässt: Liebe ist eine Beziehung der Zuwendung und Zuneigung von etwas oder jemandem zu etwas oder jemandem . Diese Wendung und Neigung hin zu einem Anderen, in augenfälligem Kontrast zur Abwendung und Abneigung, umfasst alle Grade der Intensität vom einfachen Mögen bis zur hemmungslosen Leidenschaft, und sie zeigt sich auf verschiedenen Ebenen: In der körperlichen Ausrichtung von Blicken und Gesten, in der seelischen Ausrichtung von Emotionen und Gefühlen, in der geistigen Ausrichtung von Gedanken und Deutungen. Die Zuwendung und Zuneigung muss also nicht auf der Ebene des Gefühls allein angesiedelt sein: Jede Ebene kann für sich oder in Kombination mit anderen Ebenen bespielt werden. Der Einzelne geht dabei über sich hinaus und hat nicht mehr nur den eigenen Körper im Blick, interessiert sich nicht mehr nur für die eigenen Gefühle, ist nicht mehr nur mit den eigenen Gedanken befasst, und dies gerne, willig, bereitwillig, mit Freuden: Aus dem entsprechenden lateinischen libenter entstand das Wort liebe im Mittelhochdeutschen, sodass sich Liebe auch als Freude an etwas oder jemandem verstehen lässt. Ergreift sie einen Menschen so sehr, dass er ganz und gar in Zuwendung und Zuneigung aufgeht, wenn auch nur für begrenzte Zeit, ist vom »Verliebtsein« die Rede. FindenZuwendung und Zuneigung keinerlei Erwiderung, handelt es sich um eine »unerwiderte Liebe«, mag das auch sehr frustrierend sein. Zwischen Verliebtheit und unerwiderter Liebe steht viel Platz für mehr oder weniger befriedigende Varianten zur Verfügung.
    Der Begriff der Liebe als Beziehung der Zuwendung und Zuneigung ist so gefasst, dass er noch etwas sagt, aber nicht zu viel, jedenfalls nicht so viel, wie mit dem Begriff der romantischen Liebe gemeint war, und nicht so wenig, wie mit einer rein pragmatischen Beziehung gemeint sein könnte. Als Beziehung der Zuwendung und Zuneigung ist Liebe ein Zueinanderhin des voneinander Getrennten , aus dem sich allerdings zweierlei Risiken ergeben: 1. Das Zueinanderhin kann dazu führen, dass Ausgangs- und Zielpunkt sich annähern bis zur Verschmelzung miteinander, aber ohne gegensätzliche Pole ist keine Beziehung mehr möglich. Dem steht das Bemühen entgegen, die Pole aufrechtzuerhalten, daher die Bedeutung der Polarisierung , die auch Romantikern nicht fremd ist, um eine zu große Nähe durch eine spannungsvolle Distanz wieder auszubalancieren: Ärger, Missverständnis, Kränkung und Enttäuschung eignen sich dazu; sie können Elemente der Liebe sein, solange ein Mindestmaß an Zuwendung und Zuneigung durch sie hindurch erahnbar bleibt. 2. Das Voneinanderweg kann dazu führen, dass Ausgangs- und Zielpunkt auseinander treiben bis zur völligen Differenz, aber auch der Verlust jeder Fühlungnahme zueinander wird keine Beziehung mehr sein. Dem steht das Bemühen um Nähe entgegen, daher die Bedeutung der Potenzierung , wie Romantiker sie pflegen: Durch die verstärkte Zuwendung zum Anderen, die Aufmerksamkeit auf ihn, das liebevolle Verständnis für ihn, die Freude, die ihm bereitet wird, lassen sich neue Energien undMöglichkeiten für die Beziehung erschließen.

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