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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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oder, ganz im Gegenteil, wenn zu viele Möglichkeiten zur selben Zeit in eine viel zu kleine Wirklichkeit gepresst werden müssen. Nicht notwendigerweise hat das mit dem ärgerlichen Anderen zu tun, sondern mit dem grundlegenden Missverhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit. Entlastend wirkt ferner die Ablenkung des Ärgers , die Umsetzung seiner Energie in körperliche Bewegung und Betätigung; auch gut greifbare Dinge wie Teller, Bälle und andere Wurfgeschoße haben kein Problem mit dem Ärger, der an ihnen ausgelassen wird, und besonders wirksam ist die Projektion auf anonyme Abstraktionen: »Die Anderen«, »die Gesellschaft«, »der Staat«, »die Politik«, »die Medien« oder kürzer, »die« und »sie« sind nicht nur zuverlässige Lieferanten stets neuen Nachschubs, sondern auch geduldige Adressaten von Ärger, die sich gegen die erhobenen Vorwürfe kaum zur Wehr setzen können. So kann es gelingen, den konkreten Anderen nicht zu sehr mit dem eigenen Ärger zu belasten, nicht nur aus Gründen der Rücksichtnahme, weil es zu viel werden könnte für ihn, sondern auch aus Gründen der Klugheit, weil sein Ärger den eigenen noch verstärken würde.
    Hilfreich ist ebenso, zu gegebener Zeit den Ärger mit Schönem zu übertrumpfen , das dem Selbst viel bedeutet: Das Schöne der Arbeit an einem Werk, das Schöne in den Werken Anderer, im Sinnlichen, in der Natur, in anderen Menschen und in den Beziehungen zu ihnen, das Schöne in angenehmen Verhältnissen und tollen Erlebnissen, in wirklichen Dingen und unwirklichen Phantasien ermöglicht, wenigstens für einige Zeit den Ärger zu vergessen. Und ein weiterer Kunstgriff betrifft die Größenordnung des Ärgers : Soll man sich wegen jeder Kleinigkeit ärgern? Nicht wegen jeder, aber vorzugsweise wegen Kleinigkeiten, um dem großen Ärger, der bedrohlich werden könnte, begrenzte Ressourcen übrig zu lassen. Zuweilen ist der kleine, episodische Ärger freilich nur die Spitze des Eisbergs und verweist auf den größeren und bedeutsameren epochalen Ärger: Dann steht eine Auseinandersetzung an, die nicht zu lange aufgeschoben werden sollte, um auch wieder darüberhinauszugelangen, es sei denn, der Grund für eine Trennung soll daraus destilliert werden. Aber es gibt aufrichtigere Methoden, voneinander loszukommen. Und auch Möglichkeiten, aus der Polarität zwischen zweien die Spannung zu beziehen, die das Zusammensein stets von Neuem spannend macht.

Männlich-weibliche Polarität:
Sind Frauen die besseren Lebenskünstler?
    Vor allem an der Liebe im engeren Sinne sind meist zwei beteiligt, die sich wechselseitig ein Rätsel sind. Man kann sogar zu der Auffassung kommen, dass die Liebe eigentlich keinerlei Probleme bereiten würde, wenn nicht zwei damit zu tun hätten, die so unterschiedlich sind, meist unterschiedlichen Geschlechts, und selbst in gleichgeschlechtlichen Beziehungen stellen sich wieder Unterschiede ein, die den andersgeschlechtlichen sehr ähnlich sehen. Weit mehr noch als von der Liebe sind die Geschlechter voneinander fasziniert und irritiert. Fasziniert , weil es die Welt des jeweils Anderen überhaupt gibt, die zu erkunden, zu bewundern, im Laufe der Zeit vielleicht sogar ein wenig zu verstehen ist. Irritiert , weil die Welt ja doch nur komplizierter wird, wenn noch eine andere Welt Geltung für sich beansprucht, die offenkundig so anders als die eigene ist. Faszination und Irritation sorgen dafür, dass dem Geschlechterverhältnis stets neue Filme, Romane, Theaterstücke, neurobiologische Untersuchungen, Gender Studies gewidmet werden. Woher das anhaltende Interesse, das Männer und Frauen sich wechselseitig entgegenbringen?
    Weil Polarität auf diese Weise erfahrbar wird. Das polare Verhältnis der Geschlechter ist dem Leben selbst geschuldet,das Gegensätze schafft, um Spannung aus ihnen zu beziehen. Der starke polare Zusammenhang sorgt für eine Erfahrung von Sinn , und in der obsessiven Beschäftigung mit dem jeweils anderen Geschlecht kann sogar ein Sinn des Lebens daraus werden. Spannung und Sinnerfahrung spornen das Interesse am Anderen an, das einen Menschen überkommt und ihm zuweilen Seelenqualen bereitet. Wird das Leiden an der Spannung zu groß, lohnt sich die Vorstellung, die Geschlechter würden je einen Planeten für sich allein bewohnen: Planet der Frauen, Planet der Männer, im Zeitalter der Raumfahrt nicht gänzlich undenkbar, Venus und Mars liegen denkbar nahe. Dann würde die unerträgliche Spannung sich auflösen, aber das

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