Die Liebe atmen lassen
Art von negativem »Mood-Management« und »Event-Management« – oder sich um eine Aufhellung der Stimmung zu bemühen und Anlässe zum Ärger zu ignorieren. Kinder sind Meister darin, Ärger zu machen, ihn aber auch wieder zu begrenzen, jedenfalls was den eigenen Anteil am Affekt betrifft; von ihnen ließe sich dies lernen.
Die Kunst des Umgangs mit dem Ärger ist unverzichtbar, denn harmlos ist der Affekt nicht: Er kann Menschen dorthin führen, wo sie nie hin wollten. Dann beginnen sie sich und Anderen das Leben zur Hölle zu machen, ohne dass dies noch mit zwingenden Anlässen zu tun haben müsste; eine Abwärtsspirale kommt in Gang, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Wirklich gefährlich ist nicht der Ärger selbst, sondern seine allzu lange Dauer, etwa aufgrund einer anhaltenden Enttäuschung über verpasste Möglichkeiten, die sich zum Eindruck eines vergeudeten Lebens verdichtet. Der anfängliche Unmut, die bloße Verstimmung darüber zeigt sich zunächst darin, dass etwas am Anderen , eine Redeweise, eine Geste, eine Art des Verhaltens »gehasst wird«. Die momentane Aufwallung, alltäglichund unumgänglich, verstetigt sich und führt zum ständigen Austausch von Gehässigkeiten über den Moment hinaus. Mit der fortschreitenden Verfestigung der Aufwallung verfestigt sich aber der Hass, und letztlich wird in der fraglichen Redeweise, Geste und Art des Verhaltens der Andere selbst gehasst . Spätestens dann endet jede Zärtlichkeit, als habe es sie nie gegeben und als müsse sie für immer verschlossen bleiben.
Der anhaltende Ärger über den Anderen schlägt mühelos auch nach innen um, wird zum Hass auf das eigene Selbst und zerfrisst dessen Seele. Aller Hass ist immer auch Selbsthass , aus dem Bewusstsein heraus, einen eigenen Anteil an der Entwicklung zu haben und beispielsweise zu wenig unternommen zu haben, um das Leben anders zu gestalten. Und der Hass macht hässlich , den Gehassten ebenso wie den Hassenden: Hässlichkeit wird am Anderen wie auch an sich selbst bemerkt: Nichts an ihm und am Selbst erscheint noch schön und bejahenswert, alles hässlich und verneinenswert. Da Menschen aber ungern an sich selbst leiden, die eigene Unvollkommenheit, Unzufriedenheit, Verletzlichkeit ungern als Bestandteil ihres Lebens akzeptieren, bricht der Hass, um den Selbsthass verstärkt, nun mit doppelter Wucht über den herein, der für all das verantwortlich gemacht wird.
Die Fähigkeit der Liebe zur Metamorphose macht auch ihre Verwandlung in Hass umstandslos möglich, so wie Hass sich in Liebe verkehren kann. Die Energie, die dabei jeweils fließt, bleibt erhalten, sie ändert nur ihre Richtung: Wo sie eben noch dem »Pluspol« zuströmte, flutet sie nun den »Minuspol«. Liebe und Hass bedingen sich wechselseitig, auch mit einer Beimischung des Einen im Anderen ist ständig zu rechnen, solange die Energie ungehindert zwischen den Polen hin- und herfließt: Menschen können lieben, was sieeigentlich hassen, und hassen, was sie lieben, nur um des Kontrastes willen, der die Polarität des Lebens immer wieder von Neuem erfahrbar macht, oder der Distanz zum Anderen wegen, die mit dem Hass entsteht und die Seele nach einer beengenden Nähe augenblicklich freier atmen lässt. Gerade dann, wenn ein Mensch von Liebe übersättigt ist, kann er versucht sein, das Zuströmen und Verströmen ihrer Energie für eine Weile zu unterbinden, um sich nicht völlig in diesem Strom zu verlieren, sondern wieder zu sich zu kommen. Die »Hassliebe« hält den, der zu nahe ist, auf Distanz: Ich hasse, was ich liebe, weil es mich zu sehr bindet. Wie schon der Ärger, ermöglicht auch der Hass eine Regeneration – sofern ich aus der Situation wieder herausfinde. In jedem Fall kann das Gehasste, wie schon das Geliebte, zum Fixstern des Lebens werden, dem Sinn und Orientierung zu verdanken ist; auch der Hass stiftet einen starken Zusammenhang zwischen Menschen, wenngleich um den Preis, jeden Zusammenhang und somit Sinn zerstören zu können. Um ihn nicht allein herrschend werden zu lassen, kommt es darauf an, den größer werdenden Ärger beizeiten wieder einzudämmen und nicht so sehr Anderen, sondern sich selbst zu sagen: »Jetzt ist es genug!«
Die Begrenzung des Ärgers in der Zeit wird erleichtert von der ontologischen Einsicht, dass ihm eine Wut auf die Wirklichkeit zugrunde liegt, die den Träumen von Möglichkeiten nicht entsprechen will; dass Ärger gerade dann entsteht, wenn zu wenige Möglichkeiten wirklich werden können
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