Die Liebe atmen lassen
Leben verlöre auch einiges an Reiz. Sinnvoller erscheint angesichts dessen die Pflege der Polarität , auch wenn die Pole nicht klar voneinander zu trennen sind: Frau oder Mann zu sein ist nicht identisch damit, weiblich oder männlich zu sein; auch im Weiblichen finden sich Anteile des Männlichen, und umgekehrt.
Mehr noch als die Natur treibt die jeweilige Kultur die Geschlechter mit vorsätzlicher Polarisierung stets von Neuem in die Entgegensetzung (Ute Frevert, »Mann und Weib und Weib und Mann« , 1995). Gegensätzliche Eigenschaften und Tätigkeitsfelder werden ihnen dabei zugeschrieben, die stereotypen Grundmustern folgen, auch wenn sie kulturell und individuell variabel sind: Weich/hart, dumm/klug, passiv/aktiv, Seele/ Geist, Kultur/Geschäft, Privatheit/Öffentlichkeit, Familie/ Arbeit. Von Zeit zu Zeit werden die polaren Zuschreibungen neu erfunden, ohne dass dieser Prozess zu irgendeinem Zeitpunkt abschließbar wäre. Jeder Versuch zu einer endgültigen Definition (Otto Weininger, Geschlecht und Charakter , 1903) macht sich historisch lächerlich. Anstelle einer objektiven, definitiven Auffassung lässt sich jedoch eine subjektive, provisorische formulieren, die zum besseren Verständnis des eigenen Ichs und zum verständnisvolleren Umgang mit dem jeweils Anderen beitragen kann. Sollten dabei erneut Stereotypen zum Vorschein kommen, liegt es am Einzelnen selbst, sich um eine Korrektur zu bemühen.
Weiblichkeit und Männlichkeit sind demnach zum Teil eine Frage der Biologie , alte Erfahrungen und neuere Erkenntnisse sprechen dafür. Anders als Männer sind Frauen eher von der Erfahrung einer zyklischen Zeit geprägt, schon aufgrund des Monatszyklus, aber auch aufgrund der Möglichkeit einer Weitergabe von Leben durch den eigenen Körper hindurch: Frauen können sich dem Kreislauf des Lebens zwischen Werden und Vergehen näher fühlen, während Männer eher in einem »Werk« ihre Fortexistenz suchen müssen. Unterschiedliche Vorstellungen von Glück resultieren daraus: Das Glück der Männer ist nicht immer das der Frauen. Biologie sind auch die Gene, die die Entwicklung geschlechtlicher Unterschiede steuern: Dass das männliche Gehirn dabei voluminöser ausfällt, verleitete Männer lange zu der Annahme, ihnen falle auch das Denken leichter. Aber das kleinere weibliche Gehirn, so stellte sich heraus, ist mit mehr Neuronen bestückt, die zudem besser vernetzt sind (Louann Brizendine, Das weibliche Gehirn , 2006). Und schon beim Fötus im Mutterleib scheint der Einfluss von Hormonen wie Östrogen und Testosteron dafür zu sorgen, dass das Areal für emotionale Erfahrungen im weiblichen Gehirn stärker ausgebildet wird, im männlichen Gehirn hingegen das Areal für sexuelles Verlangen und aggressives Verhalten, und dies auf Kosten des Kommunikationszentrums, das wiederum im weiblichen Gehirn ungestört wächst. Vor diesem Hintergrund ist die stereotype Erfahrung erklärbar,dass Mädchen gerne mit ihrem Spielzeug sprechen, während Jungen aus allem ein Schwert machen. Und dass Frauen gerne reden, während Männer buchstäblich viel Sex im Kopf haben.
Zu einem zweiten Teil erscheinen Weiblichkeit und Männlichkeit als Produkte einer kulturellen Prägung durch die jeweilige Umwelt, Familie, Gesellschaft, Sprache und Geschichte. Zwar ist, was kulturell geprägt ist, grundsätzlich auch kulturell veränderbar, aber davon, wie lange eine Prägung vorhalten kann, handelt ein populäres Theaterstück, das augenzwinkernd eine Verteidigung des Höhlenmenschen im modernen Mann auf die Bühne stellt: Rob Becker, Defending the Caveman (1991). Männer sind demzufolge noch nicht weit über die Steinzeit hinausgekommen, in der sie Jäger waren, wie Tom, der dieses Stück solo bestreitet. Daher die oft etwas angespannte, schweigsame, kommentarlose Zielgerichtetheit des männlichen Lebens: Das Glück der Männer . Die reduzierte Kommunikation spart Zeit und Energie, ein Vorteil auf der Pirsch. Aus Toms Sicht hängt eine steinzeitliche Vergangenheit allerdings auch den Frauen nach: Als gelernte Sammlerinnen schauen sie sich nach allen Seiten um, nehmen aufmerksam wahr, achten auch auf Abseitigkeiten, die die bessere Alternative darstellen könnten, und orientieren sich auf diese Weise umsichtiger und detailverliebter als Männer, zugleich entspannter und gesprächiger: Das Glück der Frauen . Das kommt noch im schmetterlingsgleichen Umherflattern ihrer Aufmerksamkeit in moderner Zeit zum Vorschein, etwa beim
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