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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Einkaufsverhalten. Weiterhin gehen Frauen sammeln, umsichtig und gesprächig, während Männer einkaufen, wie sie einst jagten. Sie fixieren den Hirsch, etwa die neuen Schuhe, erlegen die Beute und schaffen sie umstandslos nach Hause;nur das sinnlose Schlangestehen an der Kasse zieht den erhabenen Vorgang ins Lächerliche.
    Zu einem dritten Teil sind Weiblichkeit und Männlichkeit eine Frage der individuellen Interpretation und Variation . Bereits in der Art und Weise, wie sich Biologie und kulturelle Prägung auswirken, ist die individuelle Schwankungsbreite sehr groß: Ein Mann kann nach gängigen Kriterien weiblich, also vielleicht kommunikationsfreudig, eine Frau männlich, also schweigsam sein. Aber vor allem kann das jeweilige Individuum durch die Arbeit an sich selbst , durch Lernen, Übung und Gewöhnung auf seine kulturelle Prägung einwirken, auch neurobiologische Strukturen sind auf diesem Weg zum Teil veränderbar, während andere biologische Gegebenheiten durch operative Eingriffe zu korrigieren sind. Entscheidend ist die individuelle Definition des Weiblichen und Männlichen: Will ich damit einer allgemein verbreiteten Idee entsprechen oder ihr geradewegs widersprechen? Wird Weiblichkeit kulturell mit milder Nachsichtigkeit gleichgesetzt, kann individuell auch eine harte Unnachsichtigkeit praktiziert werden. Wenn Männlichkeit kulturell heißt, keine Gefühle zu zeigen, ist individuell auch eine größere Bereitschaft dazu einzuüben. Reizvoll könnte sein, kulturelle Auffassungen von Weiblichkeit und Männlichkeit individuell noch stärker zu akzentuieren, um die Polarität voll auszuschöpfen. Oder den Abstand zwischen den Gegensätzen zu reduzieren, um die Polarität zu verwischen, als Frau also Anteile des Männlichen in sich zu kultivieren, als Mann Anteile des Weiblichen. Oder sich um eine persönliche Mischung zu bemühen, die das eigene Selbst zum androgynen Wesen macht.
    Die geschlechtlichen Unterschiede wirken sich auf die Wahrnehmung und Führung des Lebens aus, und die je eigeneSichtweise und Vorgehensweise erscheinen dabei nicht nur gut und richtig, sondern in solchem Maße selbstverständlich, dass nicht einmal der Verdacht aufkommt, andere Perspektiven und Strategien könnten überhaupt menschenmöglich sein. Problematisch wird dies immer dann, wenn die Selbstverständlichkeiten aufeinanderprallen, also eigentlich ständig, etwa bei Fragen der Kommunikation oder beim Umgang mit technischen Dingen, in denen Frauen eher Gebrauchsgegenstände sehen, Männer hingegen eher Identifikationsobjekte und Statussymbole (Roman Sandgruber, Frauensachen, Männerdinge , 2006). Immer wieder ist das wechselseitige Unverständnis groß angesichts der unterschiedlichen Antworten auf kleine und große Lebensfragen. Alltäglich und strategisch konkurrieren die Geschlechter um die besseren Antworten und die zutreffendere Sichtweise des Lebens: Verstehen Frauen sich besser als Männer auf die bewusste Lebensführung, die Bewältigung unterschiedlichster Situationen, die Gestaltung des Lebens, dessen immer neue Orientierung? Erweisen sie sich als die besseren Lebenskünstler? Beobachtungen dazu sind geprägt von der Biologie und kulturellen Herkunft dessen, der sie macht, auch von seiner individuellen Perspektive; keine Festlegung der Wahrheit ist damit verbunden, nur die Anregung zu eigenen Beobachtungen und zur Reflexion eigener Erfahrungen.
    Zunächst wird deutlich, dass es zusätzlich zur männlichweiblichen eine geschlechtsinterne Polarität gibt, auch sie geprägt von Biologie, Kultur, individueller Interpretation und Variation, inkarniert von Frauen (wie auch Männern) gegensätzlichen Typs. Wo die entsprechenden Vorstellungen von Glück aufeinander treffen, können heftige Auseinandersetzungen die Folge sein. Einen Pol markiert die freiheitsliebende Frau , inder Kulturgeschichte dargestellt von Carmen und der femme fatale , fatal aus der Sicht betroffener Männer und Frauen, die in ihr eine »Männervertilgerin« und Beziehungsvernichterin sehen. In moderner Zeit geht die selbstbestimmte, autonome Frau daraus hervor, die konsequent ihren Bedürfnissen nachlebt (Kathy Acker, Kathy auf Haiti , 1978), mit Männern oder ohne oder gegen sie. Den Gegenpol dazu bildet die bindungsliebende Frau , die zur Furie nur dann wird, wenn die Bindung bedroht ist; der autonomen Frau erscheint sie womöglich als »Männerversteherin«, als Verräterin an den Idealen der Emanzipation, sobald sie die erlangte

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