Die Liebe deines Lebens
Leo an der Tür. Bestimmt hatte seine Helferin ihm Bescheid gesagt, dass ich im Wartezimmer saß, aber er wirkte trotzdem überrascht.
»Leo, entschuldigen Sie, dass ich keinen Termin vereinbart habe«, sagte ich leise, um die Leute im Wartezimmer nicht zu verärgern.
»Kein Problem«, meinte er freundlich und führte mich in sein Büro. »Ich hab ein paar Minuten Zeit zwischen zwei Sitzungen, tut mir leid, dass es nicht länger geht. Aber Sie haben gesagt, es wäre dringend.«
Ich setzte mich ihm gegenüber an seinen Schreibtisch und versuchte, mich nicht dauernd umzuschauen, aber nachdem ich mir seine Praxis und was wir darin taten so oft und ausführlich vorgestellt hatte, war es schwierig, dieses Bild nicht mit der Realität zu vergleichen. Als ich den Aktenschrank betrachtete, musste ich an Handschellen denken und wurde puterrot.
»Ich vermute, es geht um Ihren Mann«, sagte Leo und räusperte sich. »Um Barry.«
Erstaunt sah ich ihn an. »Nein, eigentlich nicht.«
»Sie sind wegen … wegen einer Therapiestunde hier?«, fragte er, ebenfalls erstaunt.
»Was haben Sie denn gedacht?«
»Na ja, ich dachte, es hätte etwas mit dem, äh, mit dem Anruf zu tun, den ich bekommen habe.«
»Von wem?«
»Von Barry. Ist das nicht Ihr Mann? Er hat jedenfalls gesagt, er wäre Ihr Mann. Vielleicht habe ich mich ja geirrt …«
»Oh!«, rief ich und begriff endlich. Falls möglich, wurde mein Gesicht noch röter. »Er hat Sie angerufen?«, flüsterte ich, denn ich hatte Angst, es laut auszusprechen, schon der Gedanke war unerträglich. Woher hatte Barry Leos Nummer? Mir fiel der Computer ein, den ich in unserer gemeinsamen Wohnung zurückgelassen hatte. Bestimmt hatte Barry sich Zugang zu der Liste mit meinen Kontakten verschafft. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.
Jetzt war Leo dran mit dem Erröten. »Äh … ja, ich habe angenommen, Sie wüssten Bescheid, sonst hätte ich es nicht erwähnt … bitte entschuldigen Sie.«
»Was hat er denn gesagt?«, fragte ich, immer noch nicht viel lauter als ein Flüstern.
»Er glaubt, dass äh, dass wir, Sie und ich, äh, na ja, ich denke, wenn man es höflich ausdrücken möchte, dann glaubt er, wir hätten eine Affäre.«
Ich schnappte nach Luft. »Ach du meine Güte … Leo … das ist mir schrecklich peinlich … ich weiß gar nicht, wie er …« Mir fehlten die Worte.
»Na ja, das ist wesentlich netter ausgedrückt, als er es formuliert hat.«
»Das ist mir wirklich sehr unangenehm«, sagte ich, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte, und bemühte mich, professionell zu klingen. »Ich habe keine Ahnung, wie Barry auf diese Idee gekommen ist. Er steckt gerade, ich meine, wir stecken gerade mitten in einem ziemlichen …«
Albtraum!
, vollendete ich den Satz im Stillen.
»Er hat mir erzählt, dass er irgendwo meinen Namen mit einem Herzchen drumherumgemalt gesehen hat …«, sagte Leo und war inzwischen genauso rot wie ich.
»Wie bitte?« Ich riss den Mund auf. »Was in aller Welt, ich habe keine Ahnung …« Aber dann fiel mir der Notizblock ein, der immer neben meinem Computer lag und auf den ich manchmal bei der Arbeit kritzelte, und ich erinnerte mich an die Herzen, Sterne und Spiralen, die ich so gerne malte, und dass ich einmal in einem lächerlich kindischen Augenblick Leos Namen in ein Herz geschrieben und das lustig gefunden hatte, weil es sich anfühlte, als wäre ich wieder ein Schulmädchen, als könnte ich anhimmeln, wen ich wollte, als wäre es ein sorglos-vergnüglicher Zeitvertreib und kein Verrat. Gefangen, gefangen, ich hatte mich gefangen gefühlt, und ein Name in einem Herzchen hatte mir einen Moment der Freiheit geschenkt, aber jetzt musste ich dafür büßen. Ich schauderte, mir war übel, ich wollte nur noch die Flucht ergreifen.
»Genau genommen hat Ihr Mann das alles meiner Frau erzählt«, fuhr Leo etwas entschlossener fort. Inzwischen war seine Gesichtsfarbe wieder annähernd normal, und seine Stimme klang sogar ein wenig ungehalten. »Ich hab es von ihr erfahren. Sie ist im sechsten Monat schwanger. Keine ideale Zeit, um so etwas zu hören.«
»Was? O Gott, o mein Gott. Das tut mir wirklich so leid, Leo, ich …« Ich konnte gar nicht aufhören, den Kopf zu schütteln, und wünschte, ich könnte mich in Luft auflösen. »Ich hoffe, sie weiß, dass es nicht stimmt. Ich kann sie gerne anrufen, wenn Sie meinen, das würde …«
»Nein, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre«, unterbrach er mich
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