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Die Liebe der anderen

Die Liebe der anderen

Titel: Die Liebe der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederique Deghelt
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umherzuschwirren. Könnte ich mich damit begnügen, dass es mir gutgeht, nur gut? Dem Leben seinen Lauf lassen? Ich bin nicht sicher. Zu viele Puzzleteilchen passen nicht zusammen. Wie soll ich das perfekte Paar, von dem Catherine erzählt – die uns allerdings seit sechzehn Monaten nicht gesehen hat –, mit der Frau zusammenkriegen,die ihre Arbeit aufgibt, weil ihr Leben davon abhängt? Und was soll ich zu diesem Verehrer sagen, dem ich jeden Tag begegnet bin und bei dem ich nur ein bisschen Trost gesucht haben kann? All dies hat wenig mit dem Traumpaar zu tun, das Pablo und ich angeblich waren. Wie kann ich angesichts eines solchen Ausrutschers gleichgültig bleiben? Mittlerweile bin ich sicher, ich habe alles vergessen, weil eine große Lebenskrise mich sonst daran gehindert hätte weiterzumachen. Ich bin ein entschiedener Mensch, ich habe nie lang herumgefackelt. Damit wir als Paar unsere frühere Unbeschwertheit wiederfinden konnten, mussten wir am Anfang unserer Beziehung anknüpfen. Das wäre immerhin eine Erklärung, auch wenn ich nicht ganz dran glauben kann.

    »Guten Tag.« Er sieht nett aus, er spricht mit einem Akzent. Er bleibt im Türrahmen stehen, dann deutet er einen Schritt an, und ich trete instinktiv zur Seite, um ihn vorbeizulassen. »Sie haben doch nicht den Unterricht vergessen?«
    Er lächelt spitzbübisch, als wollte er es mir leichter machen und meine fragende Miene vertreiben. Er scheint sich bei uns auszukennen. Er geht ins Wohnzimmer, klappt das Klavier auf und legt seine Unterlagen darauf ab. Ich stehe immer noch im Flur an der geöffneten Tür. Er schiebt einen Stuhl neben den Klavierhocker. Alles spielt sich ab wie in einem Traum. Ich schließe die Tür, gehe zu ihm, setze mich auf den Hocker. Er schlägt seine Partituren auf, fragt, ob ich schöne Ferien hatte. Ich antworte: »Ja, perfekt.« Er scherzt, er vermutet, seit unserem letzten Unterricht hätte ich bestimmt nicht viel geübt. »Aber das werden wir nachholen«, fügt er hinzu und wählt eine Seite aus. Das Stück hat keinen Titel, aber die Noten sehen schwierig aus. Ich habe nie in meinem Leben richtig musiziert. Als ich klein war, habe ich die Stunden damit verbracht, unter dem Flügel meiner Großmutter zu liegen. Manchmal kam ihr Bruderund spielte darauf: Chopin, Rachmaninoff, Fauré. Ich war völlig verzaubert und konnte nicht begreifen, wie nur zehn Finger es schafften, dem Instrument etwas so Wundervolles zu entlocken. Und mir selbst hätte ich es schon gar nicht zugetraut.
    Der junge Lehrer neigt den Kopf.
    »Alles in Ordnung? Fühlen Sie sich nicht gut?«
    Ich mache eine zögernde Geste zum Klavier hin, lege die Hände darauf, schließe die Augen und bettle mein Gedächtnis zum ersten Mal an. Aber nichts geschieht. Das ist doch alles lächerlich. Ich ziehe die Hände schroff zurück und sehe ihm in die Augen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig sein könnte, einem Fremden von meiner Geschichte zu erzählen.
    »Verzeihen Sie, aber ich kenne weder Ihren Nachnamen noch Ihren Vornamen, ich habe alles vergessen. Ich wusste nicht einmal mehr, dass ich Klavier spiele.«
    Er sieht mich verständnislos an, doch er hört mir zu, das macht mir Mut.
    »Seit einer Woche lebe ich jetzt so. Als ich eines Morgens erwachte, hatte ich plötzlich einen Ehemann und drei Kinder. Dabei hatte ich diesen Mann, Pablo, doch erst am Abend zuvor kennengelernt. Ich erinnere mich an nichts. Ich kann es selbst nicht fassen, dass zwölf Jahre vergangen sind.« Ich verstumme, doch als er ansetzt, etwas zu sagen, füge ich hinzu: »Ich habe niemandem davon erzählt. Ich würde mir wünschen, dass Sie es auch nicht tun. Ich denke, ich muss mit dem Unterricht aussetzen, bis ich … bis irgendetwas passiert. Spiele … ich meine, spielte ich schon lange Klavier?«
    Er wirkt bestürzt. Er sieht mich an, dann starrt er verstört auf die Partitur.
    »Seit vier Jahren. Sie sind … eine meiner besten Schülerinnen … Meine beste Schülerin.«
    »Darf ich Sie fragen, wie Sie mein Lehrer wurden?«
    Ich habe Angst, er könnte ein Freund von Pablo sein. Sein Akzent klingt spanisch.
    »Sie haben mich angerufen. Ich hatte Aushänge in den Geschäften gemacht. Sie wollten Klassik und Jazz spielen. Ich bin Jazzmusiker, spiele aber auch Tango und Salsa. Das gefiel Ihnen. Ich komme aus Mexiko. Dieses Stück«, er zeigt auf die Partitur, »ist Ihr erster Tango.«
    Er sieht so niedergeschlagen aus, dass ich ihn am liebsten trösten würde. »Das es so was

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