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Die Liebe der anderen

Die Liebe der anderen

Titel: Die Liebe der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederique Deghelt
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Oder bringt die Frage lediglich zum Ausdruck, dass keine Zeit vergeht ohne ein Werden, dass es kein Wiedersehen gibt ohne Entwicklung?

    Schließlich rufe ich Lolas Patenonkel an, den Freund, von dem Catherine sagte, er sei »der Mann, der das Unbewusste erforscht«.
    Er begrüßt mich am Telefon mit freudiger Stimme. »Marie! Wie geht es der ganzen Truppe?«
    »Raphaël? Ich nehme an, wir duzen uns. Sie sind Lolas Patenonkel, aber ich würde Sie trotzdem gern siezen, dann fällt es mir leichter, mit Ihnen zu reden … Vor einer Woche bin ich aufgewacht und konnte mich an keines der letzten zwölf Jahre erinnern. Jetzt wo ich mit Ihnen rede, habe ich mich schon halbwegs daran gewöhnt, ich komme zurecht, suche in meinen Papieren, lerne mich nach und nach kennen. Im Großen und Ganzen gelingt es mir, mich mit meinem heutigen Leben zu arrangieren, aber es ist … sehr schwer. Ich würde Sie gern sehen, ich möchte mit Ihnen reden. Catherine, eine Freundin aus Studienzeiten, hat mir von Ihnen erzählt. Sie meint, Sie könnten mir vielleicht helfen. Ich habe Pablo noch nichts gesagt. Nur sie weiß davon.« Ich leiere meine Geschichte herunter, als hätte ich Angst, er könnte mich unterbrechen oder nein sagen. Er unterbricht mich kein einziges Mal. Das beruhigt mich. Er lässt meine Pausen verstreichen, meine Sätze sich finden. Als er immer noch nichts sagt, schicke ich ein »Voilà« hinterher, um ihm zu signalisieren, dass ich ausgeredet habe.
    »Wann möchten Sie vorbeikommen?« Seine Stimme hat mit einem Mal etwas Feierliches, und auch er ist wieder zum Sie zurückgekehrt.
    »Je eher, desto besser. Meinen Sie, ich kann mein Gedächtnis wiederfinden?«
    »Ist Ihnen Freitagmorgen um neun recht? In meiner Praxis … Ich gebe Ihnen die Adresse.«
    Ich schreibe alles auf. Freitag, das ist in drei Tagen. »Meinen Sie, es ist schlimm?«
    »Marie, im Moment meine ich gar nichts. Erst möchte ich mit Ihnen sprechen. Sie werden mir noch einmal erzählen, wo Sie genau stehen, und dann kann ich Ihnen eine Antwort geben. Bis dahin sollten Sie versuchen, die Dinge gelassen zu nehmen, alle Dinge. Entspannen Sie sich. Sollte vor unserem Treffen etwas passieren, rufen Sie mich an. Einverstanden?«
    »Ja, vielen Dank. Aber bitte sprechen Sie mit niemandem darüber.«
    Er gibt mir zu verstehen, dass er schon als Freund schweigen würde, als Therapeut aber sogar dazu verpflichtet sei.
    »Bis Freitag, Marie.«
    Ich fühle mich wieder von der Zeit bedrängt, kann es nicht abwarten, bin verzweifelt über meine unbegreifliche Lage.

    »Was meinst du, wie kommen wir da raus?«
    »Da kommen wir nicht wieder raus, Schatz. Ich glaube nicht mehr an dich. Ich bewundere dich nicht mehr, ich halte dich nicht mehr für einen verkannten großartigen Künstler.«
    »Es macht dir wohl Spaß, mich fertigzumachen und dabei noch ›Schatz‹ zu sagen.«
    »Nein, ich mache dich nicht fertig, ich rede mit dir. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich diese Beklemmungen beim Namen nennen, die du mir eingepflanzt hast. Du hast mal gesagt, es würde mir an Unbeschwertheit mangeln. Dabei warst du es, der mir ein Leben voller Bürden auferlegte. Ich bin mehrmals untergegangen, ohne Sauerstoff. Dass ich nicht ertrunken bin, ist ein Wunder. Jetzt habe ich deine düstere Welt verlassen, und ich lebe noch. Sogar umgeben von Sonne. Und nie wieder werde ich da hinuntersinken. Es ist zu spät, Rémi … für alles. Für dein Künstlerleben, für unser Leben zu zweit, für das Leben, das du dir vorgaukelst. Man muss wissen, wann es Zeit ist zu gehen …«
    Eine Melodie erklingt. Dann tosender Applaus. So plötzlich, dass man die letzten Eindrücke nicht mehr in Ruhe auskosten kann. Pablo beugt sich zu mir.
    »Findest du das Ende nicht zu geschraubt?« Er hört sich ängstlich an. Ich vermeide jeden Kommentar, den er falsch interpretieren könnte, und versuche ihn zu beruhigen.
    »Das Ende ist traurig, aber der Film ist sehr schön.« Erscheint nicht schockiert über meine triviale Bemerkung und meine Unsicherheit.
    »Wirklich? Hat er dir gefallen? Ich hatte Angst vor deinem Urteil. Ich weiß, dass du es nicht ausstehen kannst, wenn ein Film zu melodramatisch endet. Und … danke für das Kleid, ich habe die Botschaft gleich verstanden, als ich dich darin kommen sah!« (Sieh mal einer an! Ich habe wohl eine Garderobe mit einem gewissen Symbolwert erwischt, als ich mich durch die Abendkleider meiner Kollektion wühlte.)
    Die Beleuchtung bleibt bis zum Ende des Abspanns

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