Die Liebe der anderen
fragen, was ich so mache, wie es mir so geht. Einige scheinen Mitleid mit mir zu haben. Ich erlebe eine der größten Miseren unserer Zeit: Man ist, was man arbeitet. Und wenn man nicht mehr arbeitet, ist man nichts mehr. Andere erzählen mir sogar, sie hätten dieses oder jenes Projekt von mir übernommen, als wollten sie mich einbinden, ohne mir Fragen über meine berufliche Unabhängigkeit stellen zu müssen. Dann kommt ein Mann auf mich zu, und die anderen entfernen sich, offensichtlich wollen sie uns allein lassen.
Na, so was, es ist Monsieur Timer, mit dem ich vor vier Tagen das Einstellungsgespräch geführt habe, an jenem Tag, als ich abends meinen neuen Job feierte und Pablo kennenlernte. Apropos, warum habe ich mich von einem Unternehmen, das einen durchaus blühenden Eindruck auf mich macht, unter dem Vorwand einer konjunkturbedingten Notwendigkeit kündigen lassen?
Der Mann bedeutet mir, ihm in sein Büro zu folgen. Auf dem Weg dorthin grüßt ihn eine junge Frau. »Bonjour, Pierre.« Er schließt die Tür hinter mir.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du mal vorbeischaust.«
»Warum nicht?«
»Ja, warum eigentlich nicht? Du bist wirklich eine Frau voller Überraschungen.« Ach, sieh mal an, das findet er also auch?
»Möchtest du etwas trinken, Kaffee, Tee?«
»Einen Kaffee, bitte.«
Ich entscheide mich für einen Sessel etwas abseits vom Schreibtisch. Ich finde die Situation wahnsinnig komisch, im Gegensatz zu vielen anderen, die mir beunruhigend erschienen, und zu den Angstattacken, die mich ständig überfallen. Und dann immer wieder die Frage: Bin ich mir ähnlich? Würde die Frau, die ich geworden bin, so handeln? All das ist mir jetzt egal. Zwischen uns muss eine größere Vertrautheit geherrscht haben, als es sonst zwischen einem Chef und einer Angestellten üblich ist, aber welche? Ich sehe ihn an und kann es mir nicht erklären. Diesen Typen habe ich ein einziges Mal in meinem Leben gesehen, vor vier Tagen, und heute behandelt er mich wie seine Geliebte. Oh nein, bitte, hoffentlich war ich das nicht! Er gefällt mir überhaupt nicht! Er reicht mir einen Kaffee und sieht mich schweigend an. Ich probiere.
»Hast du keinen Zucker?«
»Du nimmst Zucker in den Kaffee?«
»Ja, neuerdings. Hat mein Sohn auch schon angemerkt.«
Er seufzt. »Marie, geht es dir wirklich gut?«
Keine Ahnung, was passiert ist, doch er wirkt irgendwie angespannt. Ich lächle ihn an und warte ab, bis er zu reden beginnt. Ich habe die Kraft des Schweigens entdeckt.
»Du fehlst mir, Marie. Sehr sogar. Seit du die Firma verlassen hast, ist alles anders. Und auch du scheinst dich verändert zu haben.« Ich rutsche unruhig auf meinem Sessel hin und her. Nicht das schon wieder. »Ist es wirklich das, was du wolltest? Hast du noch mal alles überdacht? Und geht es mit Pablo besser?«
Schlagartig verliere ich meinen Humor und die Gelassenheit, die mich seit dem Beginn dieses Gesprächs erfüllte.Mein Herz droht zu zerbersten. Was meint er mit ›besser‹? Was weiß dieser Typ?
»Marie, ich verstehe dich nicht mehr. Ich habe dich auf deinen Wunsch hin entlassen. Ich habe deine Stelle eingefroren, um gute Bedingungen für dich herauszuschlagen, weil du meintest, dein Leben hinge davon ab. Ich habe dich immer wieder aufgerichtet, getröstet, in den Arm genommen. Noch viel zu wenig, wenn du mich fragst. Und nun willst du wissen, warum es besser gehen sollte?«
Ich denke nur an Flucht. Ganz schnell aus diesem Büro abhauen. Ich bin gar nicht mehr sicher, ob ich es wirklich wissen will. Mit meinem Vergessen ging es mir gut. »Entschuldige, Pierre. Danke, dass du mich immer verstanden hast. Ich wollte nur sehen, ob es euch allen gutgeht, dir auch. Mal kurz hallo sagen.«
Er widerspricht. »Von wegen hallo. Marie, ich habe es schon mal gesagt: Wenn es nicht so läuft, wie du möchtest, mein Haus steht dir offen. Es wartet auf dich, und auf deine Kinder.«
Ich danke ihm und verlasse die Agentur mit gesenktem Kopf, ohne mich von irgendwem zu verabschieden. Als ich draußen bin, fange ich an zu rennen. Ein Bus zögert loszufahren, Autos bremsen scharf ab. Passanten treten zur Seite. Ich renne und renne und renne, von einem Viertel ins nächste, durch die feuchte Mailuft, den Gestank der Abgase, und in meinem Trenchcoat, der nicht wirklich geeignet ist für einen spontanen Sprint. Irgendwann breche ich schweißgebadet auf einer Bank zusammen, ruhiger, aber mit denselben beharrlichen Fragen, die nicht aufhören, in meinem Kopf
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