Die Liebe der anderen
aus, doch hier und da stehen schon einige Zuschauer auf und unterhalten sich. Ein Schatten tritt auf Pablo zu.
»Bravo, mein Alter. Jetzt kann ich es dir ja sagen: Als ich das Drehbuch gelesen hatte, habe ich nicht dran geglaubt. Aber das Resultat ist beachtlich. Ich tröste mich damit, dass du offenbar gute Lehrer hattest!«
Der Mann bricht in schallendes Gelächter aus. Er streckt mir die Hand entgegen, sobald es hell wird.
»Guten Abend, Marie. Im Dunkeln habe ich Sie nicht erkannt. Sie brauche ich wohl gar nicht erst nach Ihrer Meinung zu fragen.«
»Ich fürchte, ich bin nicht sehr objektiv. Geht es Ihnen gut?«
Im Lügen bin ich mittlerweile fast perfekt. Ich habe gespürt, dass er mich gut zu kennen scheint. Wir tauschen die üblichen Plattitüden aus, dann verlässt er uns. Pablo sieht froh und erleichtert aus. Vor der Vorstellung war er sehr nervös. Viele Leute kommen, um ihm die Hand zu schütteln und zu gratulieren. Einige begrüßen ihn auffallend herzlich, zum Beispiel die Hauptdarstellerin des Films, die auch mich an sich drückt. Sie ist schön, sehr schön. Sogar noch schöner als im Film, für den sie offenbar bereit war, sich hässlicher machen zu lassen. Sie trägt ein langes, tief ausgeschnittenes Kleid aus blauem Satin. Eine sanfte Stimmebegleitet ihre Umarmung. Sie scheint erfreut, mich zu sehen.
»Marie, ich bin so froh. Ich bin sicher, dass er gut läuft. Die ersten Kommentare, die ich aufgeschnappt habe, waren sehr positiv. Ich habe so viel aus den langen Gesprächen gezogen, die wir während der Dreharbeiten geführt haben!«
Auch ich umarme sie, sage ihr, wie sehr ich mich für sie freue und dass ich sie sehr gut fand.
»Geht es dir gut? Pablo hat mir das mit deinem Job erzählt. Du siehst blendend aus … Dabei meinte er, du würdest einen ziemlich müden Eindruck auf ihn machen.«
»Ich muss mich eben erst an die neue Situation gewöhnen. Aber ich glaube, das geht schnell.«
Manchmal ist es gar nicht notwendig zu lügen. Zum Glück wird die Schauspielerin, deren Namen ich im Abspann nachgelesen und schon wieder vergessen habe, von einem Menschenschwarm erfasst. Einen Moment lang stehe ich allein in der Menge. Pablo ist verschwunden. Die Angst sitzt mir im Nacken, ein Gefühl der Verlassenheit, das mir nicht unbekannt ist. Ich empfand es in bestimmten Situationen schon früher, als ich jünger war. Ich atme langsam durch, um mich zu beruhigen, und gehe zur Bar.
»Ein Glas Leitungswasser, bitte.«
Doch bevor mir der Kellner das erbetene Wasser reichen kann, erscheint ein Glas Champagner vor meinen Augen.
»Aber Marie, an so einem Tag trinkt man doch kein Wasser!«
Der Mann ist gutaussehend, doch sein Gesicht hat harte, zynische Züge. Obwohl er breit grinst, lässt mich sein Anblick erschaudern. Mich irritiert noch etwas anderes an ihm, aber ich kann nicht genau sagen, was es ist. Eine große Angst schnürt mir die Kehle zu.
»Ein schöner Film, nicht wahr? Ein durch seine armseligen Manöver zum Scheitern verurteiltes Paar, was für eine erbärmliche Liebesgeschichte!«
Sein ironischer Unterton stört mich zunehmend.
»Der Film scheint Ihnen nicht sehr gefallen zu haben.«
»Ach nein, jetzt siezen wir uns also plötzlich. Nette Idee, nachdem wir uns zwölf Jahre geduzt haben. Aber Sie haben recht, Marie, das könnte unserem Verhältnis einen ganz neuen Charakter geben!«
Das Wort »Verhältnis« spuckt er mit hämischem Beigeschmack aus, dann beugt er sich zu mir. Sein Gesicht berührt meines. Ich ärgere mich über meine Dummheit, ich hätte merken müssen, dass er mich geduzt hat, aber er ist so eiskalt. Ich schlage einen herablassenden Ton an.
»Ich bin in letzter Zeit dazu übergegangen, viele Leute wieder zu siezen.«
»Ah, mein Bruder scheint seine Muse zu suchen.«
Pablo kommt eilig auf uns zu. Er wirkt beunruhigt, fasst mich am Arm.
»Alles in Ordnung?«
»Aber natürlich, Pablo, ich habe mir lediglich ein paar persönliche Anmerkungen zu deinem Meisterwerk erlaubt. Das ist doch wohl gestattet, oder? Im Übrigen waren wir noch nicht am Ende unserer … Überlegungen.«
Pablo antwortet nicht. Er zieht mich fort. »Komm, ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Er schäumt vor Wut. Sein Bruder! Das war sein Bruder. Jetzt weiß ich, was mich so gestört hat: die frappierende äußere Ähnlichkeit mit Pablo. Pablo mit einem gemeinen Gesicht, ohne Zweifel, das muss es gewesen sein.
»Was hat er zu dir gesagt?«
»Nichts. Er hat ziemlich bissig über den Film
Weitere Kostenlose Bücher