Die Liebe der anderen
einverstanden, vor unserer Abreise noch ein paar Stunden zu nehmen. Enrique hat mich informiert, dass auch in unserem Häuschen ein Klavier steht. Gut zu wissen, bevor ich wieder vor den betroffenen Mienen meiner Kinder stehe, weil ich nicht spielen will. Für den Moment tröste ich sie mit meiner alten Gitarre und den Liedern aus meiner Jugend, die ich wieder ausgegraben habe.
Pablo ist nach wie vor bezaubernd und zärtlich, und, so glaube ich, verliebt. Ich auch, auf meine Art. Ich lebe immer noch nicht auf seinem Planeten. Seit dem Gespräch mit seinem Vater bin ich aufmerksamer geworden, und meine Wachsamkeit hat mir gezeigt, dass er recht hatte: Hin und wieder ertappe ich Pablo bei einem erstaunten oder fragenden Blick. Er sagt nichts, doch ich merke, dass er mich beobachtet. Inzwischen bin ich ganz sicher: Ich scheine mich ganz und gar nicht mehr so zu verhalten wie vor dem »Vergessen«. Vielleicht treibt ihn meine Haltung der »jungen Frau, die gerade ihre verwandte Seele getroffen hat«, dazu, mich noch zu überbieten. Die Überraschung mit unserem Mittagessen im Hotel an der Place des Vosges ist ein typisches Geschenk, das man sich unter Frischverliebten macht. Obwohl ich nicht aus Erfahrung sprechen kann, weiß ich, dass so etwas weit entfernt ist vom Alltag eines Paares, das sich in einer gewissen Routine eingerichtet hat. Wie sagte Lucas gleich? »Es ist schwierig, einen normalen Alltag zu haben, wenn einem erst einmal bewusst geworden ist, welcher Gefahr die eigenen Gefühle fortwährend ausgesetzt sind.«
»Guten Tag, ich habe einen Termin bei Dominique Mariette.«
»Gehen Sie ruhig hinein, Sie werden bereits erwartet. Zweite Tür links.«
»Bin ich zu spät?«
»Nein, zu früh. Aber der Termin vor Ihnen ist abgesagt worden.«
Ich drücke die blaue Tür auf und gelange in einen großen Raum, ebenfalls blau und in sanftes Licht getaucht. Wandbehänge in Rosa und Blasslila zieren die Mauern, auf dem Boden liegen Kissen, runde Sitzpolster an niedrigen kleinen Tischen. In der anderen Ecke stehen ein Schreibtisch und eine Untersuchungsliege. Eine junge Frau, deren hübsches Gesicht von einem offenen Blick erhellt wird, empfängt mich mit offenen Armen. Sie küsst mich auf die Wangen, tritt einen Schritt zurück und mustert mich. Ich fühle mich bis auf den Grund meiner Seele durchleuchtet!
»Das Durcheinander mit unserer Verabredung tut mir leid. Ich wusste einfach nicht mehr, was wir ausgemacht hatten.« Sie geht geradewegs zu einem Podest mit bunten Kissen in allen möglichen Formen. »Ich habe Tee gemacht, möchtest du? Brombeertee, wie immer?«
Ich sehe mich um.
Sie lächelt. »Und, wie findest du unser neues Geburtshaus?«
»Es ist sehr schön, sehr entspannend. Harmonisch.«
Sie sieht mich erneut aufmerksam an. »Als Erstes möchte ich unbedingt wissen, wie es dir ergangen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
Ich weiß, dass Dominique bei Lolas Geburt dabei war; in Zoés Untersuchungsheft stand ein anderer Name. Doch ich habe auch den Namen der anderen Hebamme auf dem Türschild gelesen, sie scheinen also zusammenzuarbeiten. Ohne Umschweife erzähle ich Dominique, was passiert ist, ohne meine Entdeckungen, meine Zweifel und mein Misstrauen Pablo gegenüber auszulassen. Als ich meinen Bericht beendet habe, denkt sie eine Weile nach, und falls sie bestürzt sein sollte, ist sie klug genug, es sich nicht anmerken zu lassen.
»Was erwartest du von mir, Marie? Ich vermute, du hastmir das alles erzählt, weil du meinst, dass ich dir helfen könnte.«
»Es macht mir sehr zu schaffen, dass ich mich nur an eine einzige Episode aus meinem Leben als Mutter erinnern kann. Ich würde gern alles wissen über die Zeit, als Lola und Zoé unterwegs waren. Ich möchte, dass Sie … dass du mir von der Geburt erzählst, von den ersten Wochen, was ich gesagt habe, wie du mich erlebt hast, mich und Pablo, uns beide als Paar. Ich versuche mich zwar seit fünf oder sechs Wochen daran zu gewöhnen, dass ich drei Kinder habe, aber es ist immer noch unfassbar für mich, dass ich sie auf die Welt gebracht haben soll. Die Momentaufnahme mit Youri, die ich im Traum sah, ist ein Lichtblick. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, mich an meine Mutterschaft zu erinnern … Aber bitte erzähl mir doch zuerst von unserer letzten Begegnung und warum wir uns überhaupt verabredet haben.«
Dominique deutet ein Lächeln an. »Immerhin scheinst du in deinem Nebelschleier noch über gute Instinkte zu verfügen. Und
Weitere Kostenlose Bücher