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Die Liebe der anderen

Die Liebe der anderen

Titel: Die Liebe der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederique Deghelt
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ist. Er nimmt meine Hand. Ich spüre, dass ich ihm nichts sagen werde, und ich glaube auch nicht, dass er irgendwas hören möchte.

    Seit sieben Wochen habe ich nun eine Familie mit drei Kindern und bin eine andere Frau als die, die ich zu sein glaubte. Alles in allem kann ich sagen: Mir geht es schlecht,aber es geht mir gut. Und abgesehen von den leidigen Lügen und Fragen empfinde ich mein Leben eigentlich als ausgeglichen. Bisweilen packt mich die Lust zu rebellieren. Ich habe Lust, allein zu sein, vor meiner lärmenden Sippe zu fliehen. Lust, egoistisch zu sein, tanzen zu gehen, keinem Stundenplan oder Programm mehr gehorchen zu müssen.
    Aber was das angeht, unterscheide ich mich von keiner anderen Frau mit großer Familie, wie Juliette mich wissen lässt.
    Ich protestiere. »Aber es ist ungerecht. Ich war fünfundzwanzig, Single und kinderlos.«
    »Ja, wenn du so willst, aber tief in deinem Innern sind all diese Jahre noch vorhanden.«
    »Schon, aber es ist manchmal so unerträglich, sie nicht erlebt zu haben … nicht bewusst erlebt zu haben …«
    Ich wehre mich gegen diese Ungerechtigkeit, bis ich sie, nach vielen Gesprächen mit Raphaël, schließlich akzeptiere. Anfangs erzählte ich ihm einfach, wie es in mir aussah, und er schickte mich fort mit einem neuen Blick auf das, was ich ihm gesagt hatte. Und die Hälfte der Zeit verbrachte ich damit, zu verneinen. Aber ich habe begriffen, dass die Kunst des Vergessens mir erlaubte, die kleinbürgerliche Zukunft, die ich mir zweifellos ausgewählt hatte, einfach zu ignorieren. Dank dieser Kunst konnte ich tiefe Freude empfinden, ohne Lebensüberdruss. Ich habe eine Facette meines Vergessens schätzen gelernt, die positive Seite meiner Amnesie.
    Einen Nachmittag lang widme ich mich in Gesprächen mit Dominique und Anne einzig meinen Schwangerschaften und Geburten. Diesen vergessenen Teil meines Lebens bedauere ich am meisten. Sie wollen meinen Schmerz lindern, zerbrechen sich wirklich den Kopf, um sich zu erinnern, was ich ihnen über meine Kinder berichtet habe. Sie graben wieder aus, was Pablo gefühlt und getan hat, spielen den Film meiner Geburten noch einmal ab. Dabei versäumen sie es nicht, deutlich zu unterscheiden zwischen ihren ganz persönlichen Wahrnehmungen und der objektivenRealität. Sie benutzen vorsichtige Formulierungen wie »du machtest den Eindruck, als wenn«, »wir empfanden dich als«, »du sagtest« und »du schienst«.
    Ich verknüpfe ihre Schilderungen mit den Fotoalben und finde es merkwürdig, dass mich das alles so unbeteiligt lässt. Ich empfinde nichts dabei. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, ein Kind in sich zu tragen, Wehen zu haben … Der Schmerz, das Glück, die Tränen, die Ängste … Das alles ist mir fern. Ich stelle Fragen, zweifellos naive Fragen, und mein Erstaunen über diesen oder jenen Aspekt lässt sie ermessen, dass ich nicht übertrieben habe, was das Ausmaß meines Vergessens betrifft. Wir beginnen ganz am Anfang. Wir lernten uns kennen, als ich eine Sendung mit dem Titel
Der Weg in neun Monaten
konzipierte, daraus entstand eine Freundschaft, und später trafen Pablo und ich gemeinsam die Entscheidung, dass unsere Kinder zu Hause auf die Welt kommen sollten. Sie beschreiben mir einen Mann, der völlig ergriffen war von diesen Geburten, von denen die eine sanft und die andere heftig war, und es irritiert mich zu hören, dass zwischen ihm und mir eine fast animalische Intimität herrschte, deren Ausmaß ich nie erfahren werde.
    Was davon ist in unserer jetzigen Beziehung übriggeblieben? Ein Paar mit dieser Vergangenheit … Mir ist das alles fremd, was sie da über mich erzählen, über mein Leben oder genauer, über das Leben der Frau, die ich war.
    An einem anderen Nachmittag treffe ich mich mit Catherine und Juliette, um andere Aspekte unseres Familienlebens unter die Lupe zu nehmen. Ich sorge für Verwunderung, als ich frage, ob sie von meiner vierten Schwangerschaft wussten. Ich erkläre ihnen, dass ich das Kind verloren habe und verzichte bewusst darauf, zu erwähnen, wie plötzlich und schmerzhaft dieser Verlust war. Doch ich kann nicht vor ihnen verbergen, dass Pablo nicht auf dem Laufenden war, was sie sehr überrascht. Juliette äußert ihre Verwunderung als Erste.
    »Ich weiß, dass du dich nicht daran erinnern kannst, aber findest du es nicht seltsam, dass du ihm nichts gesagt hast? Ist dir heute klar, wie unnormal dieses Schweigen ist?«
    »Und bis heute hast du mit ihm nicht über deine Amnesie

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