Die Liebe der anderen
gelandet, wo alle versammelt waren. Ihre Pedanterie, ihr Pflichtbewusstsein, ihr Wachen über das Portemonnaie haben es mir eiskalt den Rücken herunterlaufen lassen. Als ich Pablo mit fünfundzwanzig Jahren kennenlernte, lebte ich in einer völlig anderen Welt und hatte keine Ahnung von den Dingen, die ich mir bei diesem Essen voller Entsetzen anhören musste. Sie waren genauso alt wie ich, aber sie waren alleinstehende, kinderlose Karrierefrauen. Männlich und weiblich zugleich, doch offenbar hatten sie sich nur dieSchwächen der beiden Rollen herausgepickt. Und in dieser Phase ihres Lebens war der erstbeste Mann ein potentieller Erzeuger. Sofort wurde der Notfallplan aktiviert: schöne Augen und Säuselstimmchen – alle Zeichen auf Eroberung. Das Schlimme war, dass sie tatsächlich an den Märchenprinzen glaubten. Aber eine Märchenprinzessin tauchte in ihren Geschichten nie auf. Ich floh aus dieser Runde, deren Sorgen meilenweit von den meinen entfernt waren. Aber auch hier über meinem Heft fühle ich mich am falschen Ort. Mir fällt niemand ein, bei dem ich meinen Kummer loswerden könnte. Da wir in unserem Freundeskreis als das Traumpaar schlechthin gelten, wüsste ich ohnehin nicht, wie sie auch nur das geringste Licht in diese komplizierte Angelegenheit bringen könnten.
Was suche ich? Im Grunde nichts Schwieriges oder Besonderes: den Abend damit verbringen, gemeinsam Musik zu hören, die Phrasierung einer Geige oder das Aufklingen einer Harfe wirklich miteinander zu teilen; eine einfache Lektüre, ein Auge in Auge ausgesprochener Satz, oder auch ein Schweigen; einander in die Arme fallen in einem Flur; die ganze Nacht durch eine Stadt wandern; dem anderen mit Wohlwollen begegnen, ihm ein Geheimnis, eine Überraschung zutrauen. Auf ihn warten oder ihm zuvorkommen, aber wissen, was man mit seinem gemeinsamen Leben vorhat, warum man da ist, oder auch nicht. Auch die Abwesenheit sagt etwas aus, was man sich verschweigt. Ich erwarte einfache Dinge vom Glück, doch sie lassen sich nicht aufzählen, weil man sie erst zu zweit erfindet.
Alles ist besser als das Nicht-Sein, das Nicht-Empfangen, das Nicht-Aussprechen, das Nichts überhaupt. Alles ist besser, als nebeneinanderher zu leben.
Meine Großmutter sagte immer, ein Paar sei das Abbild seines Schlafzimmers: Dort, wo alles beginnt und wo auch alles endet, rahmen Nachtschränke das Bett ein. Und einer ist immer derjenige, der die Lampe des anderen ausknipst.Verdammt, ich habe nie dran gedacht, sie zu fragen, ob auch das Gegenteil funktioniert, ob man, wenn man sich geirrt hat, das Licht des anderen auch wieder anmachen kann. Pablo, ich habe dich so geliebt, ich liebe dich so sehr, oder liebe ich nur die Erinnerung an die, die wir einmal waren oder die wir vielleicht sein werden? Im Moment scheint es mir unmöglich, über die Liebe zu reden. Aber ich bin kein kleines Mädchen, das mit dem Fuß auf den Boden stampft. Ich werde nie vergessen, dass lieben immer geben heißt, daran ändert auch das Essen gestern mit den verrückten Frauen nichts.«
»Ich kann nicht weiter, ich bin gestrandet, ich schaffe es nicht, dieses Kap zu umschiffen. Sich im Blick des anderen nicht schön zu fühlen, in seinen Augen nicht mehr wichtig zu sein, von seinem Licht ausgeschlossen zu sein, ist das sichere Ende. Für einen Aufschrei der Liebe braucht es zwei, die schreien, was aber, wenn der andere schweigt? Es hilft mir nichts, mich auf unser Leben davor zu konzentrieren, um herauszufinden, was sich verändert hat, denn ich frage mich: Davor? Vor was? Es ist, als hätte ich nicht alle Elemente in der Hand. Bin ich noch dieselbe? Nein, sicher nicht. Aber ein Teil von mir weiß, dass ein verliebter Mann sich nicht wie Pablo verhält. Es reicht nicht zu sagen: ›Verzeih, ich habe verstanden‹, zu sagen: ›Ich höre dir zu‹, zu sagen: ›Ich bereite dir Kummer‹. Reden … Im Moment erlebe ich nur Schweigen. Ein Schweigen ohne die Qualitäten des Schweigens. Ein Schweigen ohne Frieden, ein Schweigen, für das man sich nicht entschieden hat, das man nur erleidet.
Manchmal frage ich mich, wie man einen Film schreiben, drehen und produzieren kann, wie man sich Bilder vorstellen und eine Geschichte in Worte packen und seine eigene dabei völlig ausblenden kann? Entsteht da nicht unweigerlich die Versuchung, sein eigenes Leben in eine einfacheFiktion zu verwandeln? Oder es ersetzt eine Geschichte. Das Drehbuch unseres Lebens wird in seinem Film abgehandelt. Das ist umso
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