Die Liebe der anderen
diesen Traum wagt heute niemand mehr, denn es gilt nicht mehr als Ideal, sich ein Leben lang zu lieben.
Ich träumte von Reisen, von Entdeckungen, zu zweit, zu viert, zu fünft, ich träumte von einer richtig harmonischen Familie. Ich träumte, dass der eine für den anderen die Liebe neu erfindet, über sie wacht wie über einen Schatz. Ich wollte auf das Herzklopfen, die Aufmerksamkeit, den Blick für den anderen, die Überraschungen, das intensive körperliche Empfinden niemals verzichten. Wo haben wir all das verloren? In welchem Augenblick haben wir vergessen, dass die Liebe ein Feuer ist, das man speisen muss?
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich es mit einem Mann zu tun, der über einen Sinn für Romantik, Gefühle, Empfindungen, Träume, Sinnlichkeit und Wünsche verfügte. Wie jeder Schauspieler hatte auch er seine egozentrischen Eigenarten. Er musste immer den Schönling heraushängen lassen, das würde sich mit der Zeit bestimmt geben. Ich machte mich oft darüber lustig, und er nahm es mir nicht übel. Er nahm mir gar nichts übel, er hatte einen guten Charakter. Er konnte über sich und seine Macken lachen; diese Fähigkeit fand ich so rührend an ihm.
Was ist seit Zoés Geburt passiert? Ich kann es nicht sagen. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, was sich inmir verändert hat. Das war sogar das Erste, was mich verwirrte. Ich fühlte mich befreit, sah mich auch wieder als Geliebte, obwohl meine dritte Schwangerschaft gegen Ende sehr anstrengend war. Aber ich hatte keinen Mann, der bereit war, mich zu lieben. Ich hatte einen Mann, der meiner überdrüssig war, es aber bei jeder Gelegenheit abstritt.
Dies ist die banale, traurige Geschichte von zwei Menschen, die sich aus den Augen verlieren und einander fremd werden. Ich glaube, ich habe keine Lust mehr zu kämpfen, es ist alles zu spät, alles so weit weg. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Wenn man vom anderen einmal abgehakt wurde, ist man in seinen Augen hässlich. Das ist kaum zu ertragen und erst recht nicht zu vergessen.«
Es tut weh, das zu lesen. Wenngleich es mich nicht überrascht. Nachdem ich alle verfügbaren Informationen miteinander verknüpft hatte, war die Verzweiflung kaum zu übersehen. Ein Element im Drehbuch meines Lebens empfinde ich allerdings als nicht stimmig: Der Pablo, mit dem ich nun zu tun habe, ist wunderbar, und ich erlebe eine authentische Liebesgeschichte mit ihm. Wie konnte sich dieses Verhältnis zur anderen Seite neigen?
»Marie?«
»Ja, ich bin hier im Schlafzimmer.« Ich kann das Heft gerade noch in eine Schublade rutschen lassen.
»Ich habe den Kindern versprochen, sie zum Ponyhof zu bringen. Ich fahre dann weiter nach Uzès, willst du mitkommen?«
»Nein, ich habe keine große Lust. Ich muss … ein paar Sachen aufräumen, das Essen vorbereiten. Kannst du Parmesan und Strauchtomaten mitbringen? Heute Abend gibt es etwas Italienisches.«
»Und den Casanova des Tages, hättest du den lieber argentinisch oder russisch?«
Es fällt mir schwer, mich wieder auf die Lektüre zu konzentrieren.Wäre es nicht besser, die Dinge auf sich beruhen zu lassen? Ich bin auf der Suche nach dem Glück, und ich tue alles, was in meiner Macht steht, um es zu verhindern. Was Vergnügen sein könnte, wird zu einer Anforderung, was einmal Begehren war, hat sich in eine Pflicht verwandelt; jede natürliche Heiterkeit ist verschwunden. Irgendwo stimmt etwas nicht. Aber was? Und warum? Es kostet mich unglaubliche Mühe, weiterzulesen, und am liebsten würde ich darauf verzichten. Doch ich bin sicher, dass sich in diesen Zeilen etwas verbirgt, das mir helfen wird, die nächste Klippe zu umschiffen.
»Oktober. Wenn ich davon träumte zu schreiben, dann sicher nicht, um von meinen Zweifeln und Ängsten zu erzählen. Aber ich habe das dringende Bedürfnis, alles, was mich quält, auf diese Seiten zu bannen. Pablo ist immer reservierter. Sein Film wird jetzt geschnitten, er ist wie abwesend. Manchmal sieht er mich an, als würde er sich fragen, was ich eigentlich noch hier mache. Ich rette mich, indem ich mich wie besessen in die Arbeit stürze. So bleiben mir weder die Zeit noch der Raum, um über meine verlorenen Träume zu grübeln. Aber dann wieder stelle ich mir die existentielle Frage: Sollte ich mir nicht noch viel mehr Gedanken darüber machen, was meinem Leben fehlt? Die Frauen, die mir in meinem beruflichen Umfeld begegnen, erscheinen mir zunehmend wie Außerirdische. Ich bin aus Versehen bei so einem Essen
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