Die Liebe der anderen
legt er mir seine beruflichen Sorgen auseinander. Als wollte er ein anderes Thema vermeiden. Ich habe keine Lust, allein hierzubleiben, und beschließe, ebenfalls nach Hause zu fahren. Das Wetter ist nicht schön, es bläst ein kalter Wind. Ohne Pablo ist das Feuer im Kamin eisig. In Paris kann ich etwas unternehmen, mit den Kindern ins Museum oder ins Kino gehen. Ich werde meinen Kummer mit einem Gegenprogramm betäuben. Hier in unserem Häuschen werde ich verrückt.
Pablo meint, ich solle bleiben. Ich bin kurz davor, zu explodieren,er spürt es wohl und gibt keinen Kommentar mehr zu meinen Plänen ab.«
»Februar. Pablo kommt irgendwann nach. Er ist seit vier Wochen in den Staaten. Ich finde unser Leben immer noch durchschnittlich und langweilig. Wir haben regelmäßig Streit, der zu nichts führt, vor allem nicht zu einer richtigen Diskussion. Ich bin aggressiv, ohne Geheimnis, ohne Energie. Für die Kinder tut es mir leid, aber mich interessiert einfach nichts mehr. Vielleicht sollte ich aufhören zu arbeiten. Pierre bemüht sich immer noch rührend um mich. Sicher ist er in mich verliebt. Hin und wieder gehen wir abends zusammen aus, und ich musste ihn schon freundlich in seine Schranken weisen. Ich halte ihn mit einer liebenswürdigen Kameradschaftlichkeit auf Abstand. Er ahnt die Katastrophe, den langsamen Untergang meiner Beziehung, ich erzähle ihm jedoch nichts, und von sich aus wagt er das Thema nicht anzusprechen. Ich rede mit niemandem darüber, weder mit ihm noch mit sonst wem. Ich sitze im Kerker meiner verlorenen Liebe. Ich habe keine Freundin in meiner Einsamkeit, bin gefangen in meiner Trauer und schweige.
Glück empfinde ich nur noch, wenn Pablo nicht da ist. Dann kann ich mich der Illusion einer lebendigen Liebe hingeben und leide unter der Leere, aber nicht an der Abwesenheit eines anwesenden Mannes. Die Nachrichten, die wir uns schicken, heben sogar meine Stimmung wieder etwas. Geneviève schreibt mir im Moment viel. Sie ist verliebt, in einen verheirateten Mann. Ironie des Schicksals. ›Ich erlebe nun dasselbe Glück, das du empfunden hast, als du deinen Mann kennenlerntest‹, schreibt sie. Ich kann mich nicht mit ihr freuen. Es versetzt mir einen Stich, wenn sie etwas über ›die Offizielle‹ schreibt. Die im Schatten steht und ihrer großartigen Liebe Steine in den Weg legt, die den Mann, den sie liebt, frustriert und vernachlässigt hat! Sagt das meineRivalin – oder wie auch immer ich es nennen soll, dieses Geschöpf, dessen Existenz ich am Parfum und an Briefchen erahne – auch über mich?
Wovor ich mich fürchte und was mich eifersüchtig macht, ist die Tatsache, dass all die Augenblicke, auf die ich nun verzichten muss, einer anderen zugestanden werden. In Versuchung zu sein und das Leben kennenlernen, genießen und auskosten zu wollen ist menschlich und notwendig. Diese Vertrautheit nicht mehr mit der eigenen Frau zu teilen, sondern bei einer anderen zu suchen, das ist das Gegenteil von Liebe. Ein Trennungsgrund. Dem anderen Freiheit zu gewähren bedeutet dagegen, ihn zu lieben – der kleine Unterschied ist immens. Diese Ansicht teilten wir, wenigstens dachte ich das …
Die Hauptdarstellerin von Pablos Film hatte den Wunsch, sich mit mir über die Liebe zu unterhalten. Sie wollte mit einer Frau reden, die seit langer Zeit verliebt ist, und sie hielt es wohl für naheliegend, sich dafür die Frau des Regisseurs auszusuchen. Sie bereitete sich mit diesen Gesprächen auf ihre Rolle vor. Ihre Fragen ließen meinen Schmerz wieder aufflackern.
Ich nehme Pablo übel, dass er unser Versprechen gebrochen hat. Er hätte nur ein einziges Wort sagen müssen: Ich will nicht mehr … Dann habe ich lieber eine Geliebte, lüge, betrüge, bin gleichgültig, breche Herzen wie alle anderen. Ich hätte mehr Verständnis für die Wahrheit gehabt als für diesen jähen und unerwarteten Absturz in die Mittelmäßigkeit. Ich bin außer mir vor Wut. Aber ich will es immer noch nicht wahrhaben. Es kann nicht sein, dass Pablo auch so ein Durchschnittstyp ist, aber was ist mit ihm los? Seine Reise lässt mich auf ein freudiges Wiedersehen hoffen. Zuerst dachte ich, Pablo wäre mit meiner Rivalin unterwegs. Aber die Nachrichten, die er mir geschickt hat, haben mich vom Gegenteil überzeugt. Diese räumliche Trennung kommt wie gerufen. Vielleicht gibt sie uns die Gelegenheit nachzudenken,was nicht möglich ist, wenn wir zusammen sind. Ich verliere oft den Glauben daran, habe den Eindruck, im Dunkeln
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