Die Liebe der anderen
wieder erhalte ich eine kurze Mitteilung von François, Antoine oder den Mädels vom Theater. Pierre hat sich für meine Nachricht bedankt. Geneviève hat mir noch nicht zurückgeschrieben. Catherine und Juliette sind im Urlaub. Pablos Eltern kommen uns nächste Woche besuchen.
Wir beenden den Tag am Pool von Jeanne und René. Die Frauen sind schön in ihren Sommerkleidern, und die Männer so fröhlich. Die Sorglosigkeit hat uns nicht verlassen. Pablo hat mir bei jeder Gelegenheit Liebesschwüre zugeflüstert und mit mir getanzt. Und auch ich bin magnetisiert und verliebt, ausgelassen und zum Flirten aufgelegt. Es kostet mich Kraft, die Fortsetzung zu lesen. Ich frage mich, ob ich den Mut hätte, mich auf die Traurigkeit jener Seiten einzulassen, wenn ich diese Momente des Glücks nicht erleben dürfte.
»Dezember. Wir sind über Weihnachten in unser Häuschen gefahren. Pablo ist noch in Paris, er kommt erst kurz vor dem Fest. Wir sehen uns kaum. Ihn scheint das nicht zu stören. Tagsüber ruft er mich nicht mehr an, oder nur aus logistischen Gründen: wenn er seinen Schlüssel vergessen hat oder eine Telefonnummer braucht. Manchmal gibt ereinem Reflex nach und sagt völlig mechanisch: ›Ich liebe dich‹, als wollte er mich hinters Licht führen. Wenn ich Anstalten mache, mit ihm zu reden, zieht er sich zurück und gibt mir zu verstehen, dass er es satt hat, sich über gewisse Dinge einen Kopf zu machen. Angeblich bin ich anstrengend und nervig. Ich zitiere …
All das kann ich nur vergessen, wenn ich in die Theaterwelt abtauche, in die Geborgenheit meiner Mitspieler und Freunde. Auch Pierre ist wunderbar. Er führt mich zum Essen aus, ist aufmerksam, fast ein bisschen verliebt – ich nicht, aber es tut mir gut.
Allmählich zweifle ich an Pablo: Ich habe Briefe gefunden. Ohne danach zu suchen. Ich fiel aus allen Wolken, als die Zettel aus seinen Taschen flatterten, als hätte er sie absichtlich dort vergessen, damit ich sie entdecke. Eine weibliche Schrift, blonde Haare, ein fremdes Parfum. Ich habe nie in seinen Sachen herumgeschnüffelt, aber nun springt es mir geradezu ins Gesicht … Er lügt, redet sich heraus, und ich werde immer misstrauischer. Ich verstecke mein Notizheft, als müsste ich mich dafür schämen. Obwohl sein Inhalt ihn nicht erstaunen dürfte.
Als wir letztes Mal hier waren, hatte ich den Eindruck, dass er nach meinem Heft suchte. Es ist doch absurd, etwas nachlesen zu wollen, was man nicht hören möchte. Jedenfalls verstecke ich es jetzt immer gut, ohne wirklich zu wissen, ob ich ihn oder mich damit schützen will. Ich brauche einen Ort, wo ich meine enttäuschten Träume abladen kann.
Seine Bedürfnisse bei einem oder einer anderen zu stillen bedeutet den Tod der Liebe. Mich wundert, mit welcher Leichtigkeit Pablo plötzlich eine Situation managt, über die er früher immer gelästert hat. Angeblich verachtete er diese ›Heuchler, die heimlich eine Geliebte haben und deren Leben nur aus Lügen besteht‹. Das waren seine Worte. Wer ist dieser Pablo, den ich nicht kenne?
Ich bin jedenfalls nicht in der Lage, die Verführerin zu spielen und mich in den Armen eines anderen zu trösten. Das ist das größte Unglück. Dabei mangelt es an Bewerbern keineswegs. Aber ich habe nicht das geringste Verlangen. Sooft ich mir auch sage, dass es meine Lebensfreude neu entfachen würde, in den Augen eines anderen schön zu sein, ich schaffe es einfach nicht. Ich bin allein mit meinem Verlust. Pablo scheint überhaupt nichts zu vermissen. Er ist nur deprimiert über die schlechte Kommunikation zwischen uns. Ansonsten macht er nicht den Anschein, als hätte er irgendwelche Sorgen. Daran kann ich sehen, wie wenig Liebe er noch für mich empfindet. Er weiß nicht, was er verloren hat.
Pablo ist nun auch hier. Er weicht meinem Blick aus. Wahrscheinlich war er mit meiner Rivalin zusammen. Weiß er, dass ich weiß? Weihnachten rückt näher. Fest der Liebe, Fest der Kinder. Woher soll ich die Kraft nehmen, mir nichts anmerken zu lassen? Keine Ahnung. Pablos Handy klingelt. Er ist nicht im Zimmer. Ich will nicht rangehen. Ich wage es nicht einmal, auf das Display zu schauen, aus Angst, einen Vornamen darauf zu entdecken. Als er seinem auf dem Tisch liegenden Handy anschließend einen verärgerten Blick zuwirft, tue ich so, als würde ich es nicht bemerken. Er hat sich entschieden, vor dem Ende der Ferien nach Paris zurückzukehren. Er macht sich große Sorgen um seinen Film … Mit verdächtigem Eifer
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