Die Liebe der anderen
zu tappen. Dann klammere ich mich an alles, was schön war zwischen uns. Ich weiß, was meine Freundinnen und andere mir sagen würden: Sprich mit ihm, verlange eine Erklärung! Aber damit würde ich seiner Liebschaft zu viel Bedeutung beimessen. Mein Problem ist nicht, dass es diese Rivalin gibt, sondern dass es
uns
nicht mehr gibt. Wenn Pablo mich nicht mehr liebt, wenn diese Liebe gestorben ist, bin ich nur noch ein sinnloses, verschrumpeltes kleines Etwas. Pablo, ich liebe dich, antworte mir, wo bist du?
Tränen über Tränen. Ich habe Angst, an Tränen und Vorwürfen zu ersticken, wenn ich darüber rede. Wie lange halte ich das noch aus? Ein riesiger Abgrund tut sich vor mir auf. In einem meiner Hefte lese ich ein Zitat, das ich irgendwo aufgeschnappt habe: ›Die Melancholie und die Traurigkeit sind bereits der Beginn des Verdachts; der Verdacht ist der Beginn der Verzweiflung, und die Verzweiflung ist unweigerlich der Beginn der verschiedenen Grade von Bosheit.‹ Dem kann ich nur zustimmen! Aber auf die Bosheit möchte ich verzichten. Nur wie?
Pablo ist zurück, der Mann, den ich liebte und immer noch liebe. Wir verbringen eine wunderbare Woche miteinander. Er erzählt mir von Amerika, von seinem Film … von Hollywood. Er äfft Leute nach, ist witzig, fast wohltuend. Auch körperlich nehmen wir uns wieder wahr. Eine echte Annäherung. Wir begegnen uns, wir reden. Über Musik, über Schauspieler. Er möchte Molière adaptieren, aktuelle Themen, die in diesen alten Stücken ebenfalls eine Rolle spielen. Er hat viele Pläne, ist bester Laune. Hin und wieder schimmert seine Aggressivität durch, doch bevor sich ein richtiges Wortgefecht daraus entwickelt, würgen wir die Diskussion ab. Wir wissen, wo ein solches Gespräch hinführen kann.«
»Was machst du, Süße?«
Ich habe Pablo nicht zurückkommen hören. Hastig klappe ich das Heft zu.
»Aha!« Er lacht. »Das berühmte geheime Heft! Du brauchst es nicht mehr zu verstecken, ich habe nicht mehr vor, es zu lesen. Diese bescheuerte Phase habe ich hinter mir. Komm, die Kinder sind bettfein, sie warten nur noch auf einen Gutenachtkuss von dir. Ich werde derweil die geheime Zubereitung unseres kleinen Abendessens vollenden.«
Erst jetzt wird mir bewusst, dass die Lektüre mich voll und ganz absorbiert hat, ich habe die Zeit komplett darüber vergessen.
Das Abendessen ist kaum beendet, da legt Pablo mit verschwörerischer Miene eine alte Kassette ein, die wir während einer Reise aufgenommen haben. Er erklärt mir mit sichtlichem Stolz, dass er sie heute Morgen gefunden hat, als er ein Möbelstück verrückte, wo ich doch einen ganzen Sommer danach gesucht hätte. Was für eine Kassette wollte ich wiederfinden?
»… Mais la vie sépare ceux qui s’aiment, tout doucement sans faire de bruit … Doch das Leben trennt die Liebenden, ganz sanft, ohne viel Lärm …«
»Ach, stimmt, da war ja dieses Lied drauf, das du so mochtest«, sagt Pablo nachdenklich. Für ihn ist es nur ein vergessenes Detail. Für mich wieder einer dieser Zufälle. Er nimmt mich in den Arm, um mit mir zu tanzen, und summt mir ins Ohr: »Ich möchte so sehr, dass du dich erinnerst … Ich liebte dich, und du liebtest mich …«
Nun, da ich die unerfreulichen Dinge kenne, möchte ich auch die erfreulichen wissen. Pablos Zärtlichkeit, der Text dieses Liedes, der Wein, der Champagner und ein Wust von Gefühlen lassen mein Herz überlaufen. Ich kann nicht länger schweigen. Die Tränen rinnen mir über die Wangen, und ich kann sie nicht aufhalten.
Pablo sieht mich sprachlos an.
»Schon gut, es ist nichts weiter, geht gleich vorbei … Ich muss dir etwas sagen.«
Er hat mir zugehört. Als ich fertig bin, ist es zwei Uhr morgens. Er ist still, ernst. Ich habe Angst, große Angst, einen Fehler begangen zu haben, aber hatte ich die Wahl? Ich hätte warten sollen, bis ich das Heft zu Ende gelesen habe, aber gut. Es sind noch zwei oder drei Seiten, die auch nicht viel ändern werden. Außerdem weiß ich schon, was ich darin finden werde: den Verlust des Kindes, das Ende der Liebesreise, die Gnadenfrist im Februar bis zum endgültigen Tod im April.
»Pablo, du musst mir helfen. Bitte nimm es mir nicht übel, dass ich ein paar Wochen lang geschwiegen habe. Neun Wochen, um genau zu sein.«
Er ist woanders, folgt dem Pfad seiner Verwunderung durch diese Offenbarungen. »Und du hast wirklich keine Erinnerung mehr? Ich meine: Du weißt gar nichts mehr?« Das sind seine ersten Fragen. Er kann
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