Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
her.
    Auf den Straßen Tübingens herrschte jetzt schon reges Treiben. Marktleute waren mit mehr oder weniger beladenen Karren unterwegs, Mägde, die die Tageseinkäufe für die feinen Häuser machen sollten, Studenten, die sich angeregt unterhielten. Die Blicke der jungen Frauen, die Philips stattlicher Figur, seinem kantigen Kinn und seinen dunkelgrünen Augen galten, bemerkte er gar nicht. Ihr Seufzen, als er an ihnen vorbeimarschierte, ohne sie eines Blickes zu würdigen, hörte er nicht. Aus den Häusern war der Lärm der Handwerker zu hören, die dort ihrem Tagwerk nachgingen.
    Bald hatten sie das städtische Treiben hinter sich gelassen und passierten das westliche Stadttor. Links von Philip erhob sich das Schloss Hohentübingen, das im Morgenlicht düsterer aussah als zu anderen Tageszeiten. Als er es hinter sich gelassen hatte, hielt er das erste Mal an. Um ihn herum waren Weinberge, durch die sich der Neckar südwärts schlängelte. Als wäre die Landkarte seines unbekannten Vorgängers in seinem Kopf eingebrannt, hatte er sie vor Augen: Ungefähr einen Tagesmarsch entfernt lag in südöstlicher Richtung Reutlingen, sein nächstes Ziel. Von Reutlingen aus würde er die gleiche Richtung beibehalten und nach einigen Tagesmärschen Urach erreichen. Von dort würde sein Weg ihn in südöstlicher Richtung weiterführen bis zu dem Ort Blaubeuren. Urach wie auch Blaubeuren lagen beide schon auf der Alb, einer teilweise unwegsamen Berglandschaft, weshalb Philip sich mit einer Einschätzung der benötigten Tagesmärsche zurückhielt. Von dort würde er weitergehen bis nach Ulm, dort einen Richtungswechsel vornehmen und in südwestlicher Richtung die Donau entlangmarschieren, bis er letztendlich amNeckarursprung ankommen wollte. Von dort aus sollte es nach Tübingen zurückgehen. Nach dieser Strecke würde er den größten Teil des südlichen Württembergs wie die Schenkel eines Dreiecks abgewandert haben. Danach kam die eigentliche mühselige Arbeit: das Ausfüllen der noch weißen Fläche innerhalb dieses Dreiecks. Doch ein Schritt kam nach dem anderen, sagte er sich. Mochten die Ausmaße seiner Aufgabe andere vielleicht abschrecken – ihn scheute es keinen Augenblick davor.
    Dass seine Reise ihn für lange Zeit von Stuttgart und seinem Elternhaus fern halten würde, machte ihm nicht im Geringsten etwas aus. Genauso wenig faszinierte ihn die Reise selbst. Das Unterwegssein war für einen Kartographen nun einmal so notwendig wie das Amen für die Kirche. Außerdem würde er jedes Jahr den Winter in Stuttgart verbringen, denn in der dunklen Jahreszeit, wenn Schnee jeden Grenzstein versteckte, war es für einen Kartographen unmöglich, Messungen durchzuführen. Dafür konnte er in den Wintermonaten seine Notizen und Skizzen ins Reine zeichnen.
    Ja, er sah alles schon ganz genau vor sich: Gute Gesundheit und Gottes Wohlwollen vorausgesetzt, würde er zügig und vor allem planvoll seines Weges gehen. Schließlich wurde er vom Herzog weder für eine Lust- noch für eine Abenteuerreise bezahlt.
    Bei dem Gedanken griff er sich an die Brust. Erleichtert spürte er durch den Leinenstoff seines Hemdes den Lederbeutel, in dem er seine Gulden aufbewahrte. Darauf und auf die Reiseerlaubnis würde er höllisch aufpassen müssen – es wäre ärgerlich und kostspielig zugleich, wenn etwas davon in die Hände von Wegelagerern oder Tagdieben geräte!
    Philip schaute sich prüfend um, bis sein Blick an einer kleinen Kapelle auf einem Hügel hängen blieb. Laut Kompass war seine Richtung Nordnordwest. Dann konnte es ja losgehen! Er zog am Zügel seines Pferdes, das diePause genutzt hatte, um zu grasen, und marschierte zielstrebig auf die Kapelle zu, immer auf den Hufschlag seines Pferdes achtend. Nachdem er dreihundert Schritte gezählt hatte, standen sie direkt vor dem winzigen Gotteshaus, das aus der Nähe betrachtet einen jämmerlichen Eindruck machte. Philip kämpfte kurz mit sich, ob er es überhaupt in seine Karte aufnehmen sollte. So, wie es aussah, würde es sicherlich bald verfallen sein. Der Griffel kratzte stumpf über den rauen Papierbogen, als er die erste Linie zog, an deren Ende er schließlich doch mit wenigen Strichen die kleine Kapelle andeutete. Als nächsten Punkt für seine Messungen peilte er eine Gruppe von drei Tannen in

Weitere Kostenlose Bücher