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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Schmutz der Arbeit. Sie seufzte. Wenn sich nur alles so einfach bereinigen ließe …

~ 2 ~
    E s war die Nacht vor seiner Abreise. Die Straßenlaternen waren längst erloschen. Kein Hundegebell, kein Lärm heimkehrender Zecher drangen mehr von Tübingens Gassen durch das Fenster in seine Kammer. Die Stadt hatte sich zur Ruhe gelegt. Und das wollte Philip Vogel auch. Doch je dringender er sich den Schlaf wünschte, desto weniger lullte die Müdigkeit ihn ein. Die Arme hinterm Nacken verschränkt, versuchte er, sich zu entspannen. Wie zum Trotz strahlte der Mond die zwei großen Bündel Gepäck an, die neben seiner Schlafstatt lagen. Die gleißende Helligkeit des Lichtstrahls durchdrang seine geschlossenen Augen, und seine Lider begannen zu brennen, bis er sie unfreiwillig öffnete. Sein Blick blieb an der Leinentasche hängen. Er hatte sie so sorgfältig gepackt, dass er nicht nur jedes Packstück ohne Nachdenken nennen konnte, sondern auch seine ganz genaue Lage: Zuunterst lag Kleidung zum Wechseln, sollte er in einen Regenguss kommen, darauf zusammengerollt eine mittelschwere Decke, die er bei schlechtem Wetter auch als Umhang benutzen konnte. Sein Essgeschirr samt Löffel und Messer hatte er zusammen mit einem Laib Brot in ein dünnes Tuch gewickelt. In ein weiteres, dickeres Tuch eingeschlagen und mit Riemen zugebunden war ein Stapel Bücher. Philip wollte nicht einmal daran denken, was er tun würde, sollten diese durch irgendwelche äußeren Einflüsse auf der Reise Schaden nehmen! Ein Feuerstein und andere nützliche Dinge füllten die Lücken aus, die zwischen den größeren Packstücken entstanden waren. Geld und die Reiseerlaubnis des Herzogs, die ihm auf allen Wegen eine freie Passage erlaubte, wollte er in einem Brustbeutel direkt am Leib tragen. Im zweiten Bündel befanden sich ein Kompass, ein Polimetrum, mitdessen Hilfe er Winkelmessungen durchführen konnte, eine dicke Rolle Pergamentbögen, eine blecherne Dose mit Griffeln, mehreren Tuschefedern und einem Tintenfass. In einer weiteren Blechdose bewahrte er kleine Leinenbeutel auf, die verschiedene Pulver enthielten, aus denen er mit Essig und anderen Flüssigkeiten Farben jeder Schattierung anmischen konnte. An der Außenseite des Sacks war mit mehreren Lederbändern ein schmaler lederner Schlauch befestigt. Darin steckte der Kupferstich einer Landkarte, die in Philips Augen bis dato das bedeutendste Werk württembergischer Landvermessung darstellte. Das ganze Land war darauf in einem Kreis abgebildet, der Kartenrand wurde von Jagdszenen geschmückt und wies auf Gebiete hin, die jenseits der Landesgrenze lagen. Seit der Fertigstellung der Karte waren 22 Jahre vergangen, und noch immer war man, was die Identität ihres Verfassers anging, keinen Deut schlauer als im Jahr 1558, als dieser sein Werk lediglich mit den Initialen I.T.S. unterzeichnet hatte. Es wurde zwar gemunkelt, dass sich der Ulmer Johann Sizlin dahinter verbarg, doch Genaues wusste man nicht. Philip konnte nicht verstehen, wie sich jemand jahrelang einer so mühevollen Arbeit widmen konnte, um am Ende weder den Lohn noch die Ehre dafür einstreichen zu wollen. Er würde es da anders halten. Doch im Grunde genommen war es ihm gleich, wer die Karte gezeichnet hatte, die ihm lediglich im Zweifelsfall als Grundlage für seine eigenen Vermessungen dienen sollte. Was er wissen musste, hatte er im Kopf – lang genug hatte er alles studiert, was es an Kartenmaterial über Württemberg und seine Ländereien gab. Deshalb hatte er auch das Angebot Herzog Ludwigs dankend abgelehnt, er möge einen Satz Karten seines Kollegen Schweickhers mitnehmen. Zugegeben, der Atlas von 54 Tafeln, auf denen Heinrich Schweickher die einzelnen Ämter Württembergs verewigt hatte, war für sich gesehen beeindruckend. Doch das Wissen, wo das Stuttgarter Amt aufhörte und das Cannstatter Amt begann, war für PhilipsPlan, die württembergischen Forstgebiete zu vermessen, von geringerer Bedeutung: Bäume bzw. Wälder hatten die Gewohnheit, sich nicht an von menschen Gesetzte Grenzen zu halten, sondern diese zu überschreiten, wann und wo es Mutter Natur passte. Und er hatte dasselbe vor, schoss es ihm durch den Sinn. Grenzen überschreiten.
    Er warf sich von einer Seite zur anderen. Als Herzog Ludwig ihm Ende letzten Jahres den Auftrag erteilt hatte, einen vollständigen Überblick aller

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