Die Liebe des Kartographen: Roman
Wasser, als müsse sie es für etwas bestrafen, dann tauchte sie doch noch mit dem Kopf unter und kam erst wieder hoch, als ihr schwindlig wurde.
Als sie aus dem Wasser steigen wollte, blieb ihr die Luft ein zweites Mal weg. Vor ihr stand ein hoch gewachsener Junge.
»Was willst du hier? Hau sofort ab, sonst â¦Â« Mit der flachen Hand spritzte sie Wasser in seine Richtung. Dann zwang sie sich, ruhig weiterzuatmen. Noch nie war sie hiervon jemandem überrascht worden!
Der Junge schien mindestens so entsetzt zu sein wie Xelia. Er machte zwar einen Schritt nach hinten, ansonsten aber keine Anstalten zu verschwinden. Stumm starrte er sie an.
Langsam wurde es Xelia kalt. Während ihres Baderituals hatte das eisige Wasser ihr nichts ausgemacht, aber jetzt wollte sie nur noch in ihre Kleider schlüpfen und sich auf dem Weg zur Gerberei warmlaufen. »Worauf wartest du? Hast wohl noch nie ein nacktes Weib gesehen? Hau ab, sonst machâ ich dir Beine«, schrie sie mit mehr Ãberzeugung, als sie empfand. Was sollte sie tun, wenn der Kerl nicht freiwillig ging? Was wollte er? Sie spritzte erneut Wasser ans Ufer und diesmal gelang es ihr, seine linke Seite nass zu machen. »Wenn du noch eine Ladung willst, dann bleib ruhig stehen!« Wieder tauchte sie ihre Hand ein.
»Halt, warte! Ich suchâ doch nur jemanden.« Seine Stimme klang erstaunlich dunkel für sein knabenhaftes Aussehen. »Ich soll nach Xelia, der Heilerin, fragen, hat man mir im Dorf gesagt. Und dass ich sie an manchen Tagen hier drauÃen bei der Kräutersuche finden kann. Vielleicht kannst du mir ja sagen, wo ich sie finde.« Und dann drehte er sich endlich um.
Hastig kletterte Xelia das Ufer hoch. Als sie endlich ihreKleider erreicht hatte, war sie bis auf die Knochen durchgefroren. So lange war sie noch nie im Wasser gewesen. Wenn sie jetzt wegen dieses Trottels krank wurde, dann ⦠Wer war er überhaupt?
»Was willst du von Xelia?«, fragte sie mit ungnädiger Stimme. Von nahem sah er älter aus, als sie zuerst angenommen hatte. Und anders als die Männer, die sie kannte. Ein Bauer konnte er nicht sein, deren Hände waren von der Arbeit auf den Flachsfeldern zerschnitten, ihre Gesichter von der kalten Albluft rau, und ihre Haare dünn. Der junge Mann vor ihr war in feinstes Tuch gekleidet, seine Hände zart, sein Gesicht hellhäutig.
»Ich komme, weil meine Mutter Hilfe braucht«, sagte der Fremde, der sich ihr nun wieder zugewandt hatte.
»Und warum kommt sie nicht selber, wenn sie was will?« Xelia hatte nicht vor, es ihm leicht zu machen.
»Weil sie nicht kann. Sie ist an ihr Lager gefesselt, seit Jahren schon. Kannst du mir jetzt sagen, wo ich die Heilerin finde, oder nicht?« Seine Stimme klang ungeduldig.
Es geschah nur noch selten, dass jemand aus dem Dorf sie ihrer Heilkünste wegen ansprach. Nach dem Tod von Eulalia waren die Leute wie selbstverständlich zu ihr gekommen, um nach Rat oder einer Salbe zu fragen. Jeder wusste, dass Eulalias älteste Tochter die gleichen Heilkräfte besaà wie ihre Mutter. Doch nach einiger Zeit hatte Xaver Feltlin den Besuchen der Leute einen Riegel vorgeschoben. Dass sie zum Kräutersammeln ging, passte ihm ganz und gar nicht. Statt froh über ihr Wissen zu sein, beschimpfte er sie als »Kräuterhexâ« und warf ihr vor, ihre Zeit zu vergeuden, statt beim Gerben zu helfen. Doch manchmal, während sie nach Kräutern suchte, kam auch heute noch jemand aus dem Dorf zu ihr und bat sie in der Verschwiegenheit des Waldes um Hilfe. Wann immer Xelia Rat wusste, half sie weiter. Aber alles musste heimlich geschehen, das wussten die Dorfbewohner. Trotzdem hatte einer von ihnen einem Fremden ihren Namen verraten.Das hatte sie nun von ihrer ganzen Hilfsbereitschaft! Aber neugierig war sie inzwischen schon.
Und dann war ihr auf einmal schlagartig klar, wer vor ihr stand: Es musste der Sohn des Tuchhändlers Aaron Blaustein sein. Der edle Stoff, sein feines Aussehen und die bettlägerige Mutter! Seit vielen Jahren hatte Sarah Blaustein niemand mehr gesehen, jeder im Dorf wusste, dass sie schwer krank war und ihr groÃes Haus hinter den dichten Tannen nie verlieÃ.
»Ich bin Xelia.« Sie zog ihr dünnes Tuch enger um die Schultern. »Was ist mit deiner Mutter?«
» Du bist die Heilerin?«, fragte Samuel Blaustein ungläubig nach. Statt zu antworten, klapperte Xelia vor lauter Kälte
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