Die Liebe des letzten Tycoon
Ist jetzt klar, was für einen Typ ich will?«
»Völlig klar, Monroe.«
»Jetzt zu ihrem Verhalten«, fuhr Stahr fort. »In jeder Minute, in der wir sie auf der Leinwand sehen, will sie mit Ken Willard schlafen. Ist das klar, Wylie?«
»Glasklar.«
»Und alles, was sie tut, steht für ihren Vorsatz, mit Ken Willard zu schlafen. Wenn sie durch die Straßen läuft, tut sie das, um mit Ken Willard zu schlafen. Wenn sie isst, sammelt sie Kräfte, um mit Ken Willard zu schlafen. Aber nicht eine Sekunde lang darf man den Eindruck gewinnen, dass sie jemals ernsthaft auf die Idee käme, mit Ken Willard zu schlafen, ohne ihm nach Recht und Gesetz verbunden zu sein. Ich komme mir vor wie im Kindergarten, wenn ich euch mit der Nase auf diese elementaren Dinge stoßen muss, aber irgendwie hatten sie sich aus dem Script verflüchtigt.«
Er schlug das Drehbuch auf und ging es Seite für Seite [73] durch. Später würde er Miss Doolans Notizen in fünffacher Ausfertigung tippen und an die Sitzungsteilnehmer verteilen lassen, Rose Meloney aber schrieb zusätzlich noch mit. Broaca legte die Hand vor die halb geschlossenen Augen und dachte zurück an Zeiten, als »ein Regisseur hier noch was galt«, als die Autoren Gagschreiber oder beflissen-betretene, mit Whiskey abgefüllte junge Reporter gewesen waren. Damals hatte es nur den Regisseur gegeben. Keinen Projektleiter, keinen Stahr.
Er fuhr zusammen, als er seinen Namen hörte.
»Es wäre gut, John, wenn du den Jungen auf einen Dachfirst stellen, ihn da herumlaufen lassen und mit der Kamera draufhalten könntest. Hübscher atmosphärischer Effekt: keine Bedrohung, keine Spannung, kein Hinweis auf irgendwas. Nur ein Junge auf einem Dach früh am Morgen.«
Broaca kam in die Gegenwart zurück.
»Verstehe. Nur eine Ahnung von Gefahr.«
»Nicht mal das«, sagte Stahr. »Er fällt ja nicht runter. Am besten blendest du dann auf die nächste Szene über.«
»Durchs Fenster«, schlug Rose Meloney vor. »Er könnte durchs Fenster zu seiner Schwester klettern.«
»Guter Übergang«, lobte Stahr. »Mitten hinein in die Tagebuchszene.«
Broaca war jetzt hellwach.
»Ich drehe von unten zu ihm hoch«, sagte er, »und lasse ihn von der Kamera weggehen, ziemlich weit weg. Die Kamera bleibt, wo sie ist, holt ihn nah ran, dann geht er weiter von der Kamera weg. Das Interesse konzentriert sich nicht speziell auf ihn, sondern auf ihn nur im Kontext von Dach und Himmel.« Die Einstellung gefiel ihm, so was wurde [74] einem Regisseur heutzutage nicht mehr überall geboten. Er konnte mit einem Kran arbeiten, das war letztlich vielleicht billiger, als das Dach unten aufzubauen und den Himmel einzukopieren. Für Stahr allerdings war nur das Beste gut genug. Broaca arbeitete schon zu lange mit Juden, um noch an das Märchen von ihrer Kleinlichkeit in Gelddingen zu glauben.
»In der dritten Sequenz kann er dem Priester eine scheuern«, sagte Stahr.
»Na hör mal!«, ereiferte sich Wylie, »damit haben wir doch sofort die Katholiken am Hals!«
»Ich habe mit Joe Breen gesprochen. Dass Priester Prügel beziehen, kommt schon mal vor, das wirft kein schlechtes Licht auf die Zunft.«
Die leise Stimme fuhr fort – und verstummte jäh, als Miss Doolan auf die Uhr sah.
»Ist das zu viel verlangt bis Montag?«, fragte er Wylie.
Wylie sah Rose an, und die gab den Blick zurück, ohne auch nur zu nicken. Damit war für sie beide das Wochenende gelaufen, aber seit er in diesem Raum saß, war er ein anderer Mensch. Wer fünfzehnhundert die Woche bekommt, zählt keine Überstunden, zumal dann, wenn der eigene Film gefährdet ist. Als freiberuflicher Drehbuchschreiber hatte Wylie Schiffbruch erlitten, weil sich niemand um ihn gekümmert hatte, jetzt aber würde Stahr sich um sie alle kümmern, und zwar auch außerhalb dieses Büros und so lange, wie sie sich auf dem Studiogelände aufhielten. Wylie sah ein großes Ziel vor sich. Das Gemisch aus gesundem Menschenverstand, wohl abgewogenem Einfühlungsvermögen, dramatischer Begabung und einer fast ein wenig naiven [75] Vorstellung von Gemeinwohl, das Stahr ihnen gerade vorgetragen hatte, ermutigte ihn, sein Teil beizutragen, seinen Quaderstein an der vorgesehenen Stelle einzufügen, selbst wenn von vornherein feststand, dass seine Mühe umsonst war und etwas so Fades wie eine Pyramide dabei herauskam.
Rose Meloney sah durchs Fenster lockere Gruppen in Richtung Kantine gehen. Sie würde sich ihr Essen ins Büro bestellen und ein paar Reihen stricken, bis
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